Jungs aus der Gegend
Ottakring ist kein Ghetto, aber die Hochburg des Wiener Serben-Raps. Zwischen Wienerisch, Hochdeutsch und „Tschuschisch“ bewegen sich Svaba Ortak und Manijak, und treffen dabei auf H. C. Strache, die Kronen Zeitung und Schwule am Balkan. | Portrait: Stefan Kraft
Identität ist zuallererst das, was einem zugeschrieben wird. Das stimmt zumindest für all jene, die in der Hierarchie der Gesellschaft nicht im Dachboden logieren.
Der US-amerikanische Gangsta-Rap bestätigte diese These eindrucksvoll. Die eigene Realität wurde in derselben Weise dargestellt und überzeichnet, wie es die Nachrichtensendungen im Fernsehen taten. Jedes Video aus South Central, LA zeigte Einfamilienhäuser ohne Dachboden, Waffen, so viele Waffen, Drogen, den Kampf gegen die Polizei, die anderen Dealer, leicht bekleidete Frauen, viele, viele Frauen. Und immer wieder die Botschaft: Es ist wahr, was ihr über uns sagt, so leben wir und unsere Musik. Unsere Texte geben Ausdruck davon.
Im Revier
Im 16. Wiener Gemeindebezirk geht die örtliche Rap-Szene einen ähnlichen Weg: „Als Blaupause für das dichte Gewebe zur identitären und räumlichen Selbstverortung dient häufig der US-amerikanische Gangsta- und Street-Rap. In den Videoclips zu den Songs ‚Jungs aus meiner Gegend’ von Manijak (...) stehen die Rapper auf Hochhäusern, vor Gemeindebauten und Graffiti-Wänden oder sie gehen durch die Parks und Straßen ihrer Heimatbezirke, die durch die Verhandlung der Themen (Polizei-)Gewalt, Armut, Geld, Drogen und Sexarbeit als ‚Ghettos’ stilisiert werden“. So lauten die schleppenden Zeilen in einem Buch zu „Postmigrantischen Perspektiven jenseits der Parallelgesellschaft“ aus dem Jahr 2014.
„Ottakring ist kein Ghetto“, sagt Manijak, der Schöpfer des Songs „Jungs aus meiner Gegend“. Wenn auch die Bilder seines Videos den amerikanischen Vorbildern verhaftet sind: schnelle Shots von Polizeiautos, U-Bahn-Stationen, Burschen in Kapuzenpullis, die Joints rauchen, lokale Einsprengsel, der „Wettpunkt“, der „Wettkaiser“. Man mag es stilisiert nennen – oder vernehmen, dass hier etwas geformt wird aus angenommenem Klischee und übernommenem Ausdruck und wahrgenommener Eigenständigkeit. Identität ist zuallererst das, was einem zugeschrieben wird.
Manijak, bürgerlicher Name Denis Abramović, ist 24-jähriger Rapper mit serbischen Wurzeln, wachsender Bekanntheit und zunehmenden Klicks auf seine YouTube-Clips. Hauptberuflich betreut er Obdachlose. Einen Schritt voraus ist ihm der 22-jährige Pavle Komatina, besser bekannt als „Svaba Ortak“, der zurzeit wohl prominenteste Vertreter des Migranten-Raps in Wien, den es mittlerweile von der Ottakringer Straße nach Frankfurt gezogen hat. Die Thematik ihrer Songs ist ein Spiegelbild jener Seele, der der Ausdruck „postmigrantisch“ wenig gerecht wird: Übernommenes, männlich-ideales Gangstatum und Revierzugehörigkeit, ausländische Herkunft, serbischer Nationalstolz, mischt sich mit politischem Engagement und der Herausbildung einer Wiener Rapperszene, die nationale Grenzen verschwimmen lässt.
Treffen mit Strache
Eine Szene, die kaum Anknüpfungspunkte enthält zu einer früheren Wiener Hip-Hop-Generation. „Um ehrlich zu sein: aus dem Wiener oder österreichischen Raum hat mich niemand beeinflusst“, sagt Svaba Ortak. „Mit 16 habe ich meinen ersten Versuch gestartet“, sagt Manijak, auch seine Vorbilder waren rar gesät. Ein bisschen USA, ein bisschen Deutschland, ein bisschen serbischer und kroatischer Rap. „Mein erstes Lied hieß ‚Ottakring’. Ein erbärmlicher Versuch. Aber wie es später ernster für mich geworden ist, habe ich viel mehr politische Themen eingebaut. Das ist für 30 mich ganz wichtig. Ich habe immer viel politischen Rap gemacht, systemkritischen, gesellschaftskritischen Rap“, sagt Manijak. In „Jungs aus meiner Gegend“ rappte er gegen die ausländerfeindliche Kronen Zeitung und fiel mit den Zeilen auf: „Die blaue Nazi-Partei ist der größte Scheiß“. Puls4 arrangierte ein Treffen mit H.C. Strache, er ging hin und diskutierte mit dem FPÖ-Chef. Zu Manijaks Gunsten fiel das Gespräch nicht aus, stattdessen konnte sich Strache als verständiger Politiker mit konsequenter Haltung in der „Ausländerfrage“ präsentieren. Warum Manijak trotzdem mit ihm gesprochen hat? „Weil er wissen soll, dass es auch Serben gibt, die gegen ihn sind“. Viele sind nämlich für ihn, mit seiner Unterstützung in der Kosovo-Frage, mit dem serbisch-orthodoxen Armband auf den Wahlplakaten, mit seiner Moslemfeindlichkeit hat sich Strache Wähler verschafft, wo sie nicht zu vermuten waren. „Ich kann nichts an Strache verändern. Aber ich kann vielleicht zumindest einen Serben davon überzeugen, dass er ihn nicht wählt. Dann hätte ich schon gewonnen“, sagt Manijak.
Aber, wie hält er es selbst mit der viel beschworenen Integration? „Ich muss mich den Normen anpassen.“ Ist das der Grund, warum er auf Deutsch rappt? „Ich rappe auf Deutsch, weil ich die größte Zuhörerschaft auf Deutsch habe.“
Typische Bio
Manijak und Svaba Ortak, sie bezeichnen ihre Sprache als „Mischung aus Wienerisch, Deutsch und Tschuschisch.“ Born and raised in Ottakring, „nur zwei, drei Monate“ hat Manijak als Baby in Serbien verbracht, eine typische Erzählung der zweiten Generation. Um Jugoslawien, das er nie gekannt hat, tut es ihm leid: „Man hat gesehen, was daraus geworden ist.“ Svaba Ortak nimmt schon in seinem Künstlernamen Bezug auf Jugoslawien, denn im jugoslawischen Film „Rane“ aus dem Jahr 1998 lautet einer der Hauptprotagonisten auf den Namen „Švaba“, der bei seiner Großmutter in Belgrad aufwächst, die einst vor der faschistischen Ustascha aus Kroatien flüchten musste. „Ortak hab‘ ich einfach drangehängt wegen meinen Freunden, das bedeutet so viel wie ‚Haberer‘.“
Aufgewachsen sind die beiden im Bezirk mit Türken, Albanern, Kroaten, Bosniern. Manijak gibt nicht den letzteren die Schuld, dass Teile seiner Familie aus Bosnien flüchten mussten: „Schuld waren die Amerikaner.“ Ist das der Grund, warum er und Svaba Ortak in vielen ihrer Textzeilen gegen die USA rappen? Manijak: „Es geht mir nicht nur um Serbien, es geht mir um die ganze Welt. Natürlich ist das ein Auslöser, dass ich antiamerikanisch bin. Das Antiamerikanische findet ein breites Publikum.“ Auch Svaba Ortak hat der Krieg geprägt: „Als die NATO uns bombardiert hat, stand die Stadt, aus der ich stamme, Murina in Montenegro, unter vollem Beschuss und ich habe dabei meinen Großvater verloren, als ihn die Bombensplitter trafen. Das war ein starker Schicksalsschlag für meine ganze Familie. Dafür verfluche ich die westlichen Mächte und ihre Politik bis zu meinem letzten Atemzug.“ Aus der gemeinsamen Wut sind gemeinsame, durchaus radikale Songs zum Thema entstanden, sie lauten auf Titel wie „Anti Ami“ und „Systemcrash“.
Provo und Sarkasmus
Diese Mischung aus ungezügelter, teilweise diffuser politischer Radikalität, Ottakringer Lokalpatriotismus und serbischem Stolz findet ihre ZuhörerInnen, aber auch ihre KritikerInnen. So äußerte sich das Wiener Migrantenmagazin „biber“ zu einem von Svaba Ortaks bekanntesten Liedern folgendermaßen: „In ‚Serben in Wien‘ fordert er seine Zuhörer mit ‚Schließ deine drei Finger!‘ zum Serbengruß auf und macht einen auf serbischer Nationalist.“ Das vorschnelle Urteil ist auch sachlich falsch, wie Svaba Ortak ausführt: „Wir schließen unsere drei Finger, wenn wir uns bekreuzigen bei unseren Gebeten.“
Doch wie verhält es sich mit Textzeilen wie sie in „Jungs aus der Gegend“ zu vernehmen sind, etwa „Du bist hier unerwünscht wie Schwule am Balkan“? Oder Svaba Ortaks Beschreibung einer Busfahrt von Belgrad nach Wien, in der er auf lauter „Zigeuner“ trifft?
Svaba: „Wenn man mir so etwas vorwirft, versteht man nicht den Sarkasmus, den ich als Person habe und in meinen Textzeilen widerspiegle.“ Manijak: „Ich zeige manchmal meiner Freundin meine Textzeilen, ob sie frauenfeindlich sind. Dann meint sie: Das könnten die Leute falsch verstehen. Dann sage ich, passt, die Leute sollen es ruhig falsch verstehen.“ Zurückgesteckt wird nicht und manche der lauen Erklärungsversuche kennt man auch vom US-amerikanischen Rap: Ich stelle die Sachen nur so dar, wie sie sind.
FM4-tauglich wird diese Musik nicht mehr, aber das will sie auch nicht. Die Szene präsentiert sich auf YouTube, wo der Wiener Straßenrap zusammenfindet. Im Track „Hand auf ’s Herz“, einer breitestmöglichen „Kollabo“ der harten Wiener Hip-Hopper, finden sich Svaba Ortak und Manijak neben türkischen, kroatischen und Wiener Dialektrappern ein. Produziert wurde der Track, neben so vielen anderen Songs der beiden, von Paul Manea alias „PMC Eastblok“. Der Produzent mit rumänischen Eltern versorgt den Migrantenrap mit Beats und Samples, wohnhaft ist er in Simmering und so erstreckt sich sein Einfluss von „U3 Endstation bis Endstation“. PMC Eastblok kann ebenso wenig wie Manijak oder Svaba Ortak von seiner Musik leben, dennoch möchte er weder auf den deutschen Markt schielen, noch seinen Wiener Kollegen untreu werden: „Das ist Musik, die ich fühlen kann, wozu ich einen Bezug habe. Weil ich weiß, über was sie reden.“
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