Sichere Einreise für 500.000
HANDLUNGSBEDARF. Eine solidarische Europäische Union sollte 500.000 Flüchtlingen pro Jahr die legale und sichere Einreise ermöglichen. Selbst Australien lässt proportional mehr Leute ins Land. | Kommentar: Alexander Pollak
Ende April schreckte die Kronenzeitung ihre LeserInnen mit der Titelschlagzeile „Trotz Flüchtlings-Tragödien auf dem Mittelmeer: 500.000 wollen heuer in die EU“ auf. Was die Krone nicht thematisierte: Es geht nicht um die Aufnahme so vieler Menschen in einen Kleinstaat, sondern in einen Raum, der mehr als 500 Millionen Menschen umfasst.
500.000 zusätzliche Menschen würden für den EU-Raum einen Bevölkerungszuwachs von weniger als 0,1 Prozent bedeuten. Auf eine Million EinwohnerInnen kämen Tausend neue hinzu. Bei einer gleichmäßigen Verteilung würde das für Österreich bedeuten, dass 8.900 Menschen pro Jahr ins Land kämen.
Im Jahr 2014 suchten 28.000 Personen Asyl in Österreich, Anfang der 2000er Jahre waren es fast 40.000. Und zu Zeiten des Bosnienkriegs kamen 90.000 Menschen.
Entlastung
In die EU flüchteten 2014 insgesamt mehr als 600.000 Menschen auf der Suche nach Schutz, also deutlich mehr als 500.000. Das Problem dabei ist aber, dass 95 Prozent dieser Menschen nicht auf legalem Weg nach Europa kommen konnten. Ein Gedankenspiel: Was würde nun passieren, wenn die EU sich von ihrer bisherigen Abwehrpolitik mit einer Flüchtlings-Zielgröße von nahezu Null verabschieden würde? Welche Folgen hätte es, wenn man ein Kontingent von 500.000 Flüchtlingen pro Jahr festlegen würde, denen man die legale und sichere Einreise nach Europa erlaubt?
Ein solches Kontingent würde zuallererst bedeuten, dass viele Menschen, die in Europa Schutz und Lebensperspektiven finden wollen, nicht mehr auf Schlepper angewiesen wären. Sie müssten nicht mehr hohe Geldbeträge zahlen und ihr Leben riskieren, um europäischen Boden betreten zu können. Legale Einreise würde auch bedeuten, dass die Ankunft der Menschen wesentlich organisierter ablaufen könnte. Nicht zuletzt würden gezielte Flüchtlingskontingente eine Entlastung für vollkommen überforderte Länder wie etwa den Libanon bedeuten, ein Land, das, obwohl flächenmäßig kleiner als Tirol, zurzeit mehr als 1 Million syrische Flüchtlinge beherbergt.
EU-weite Anträge
Keine Frage, auch mit einer koordinierten Flüchtlingspolitik würde es weiterhin Menschen geben, die bereit wären, Schlepper zu bezahlen und ihr Leben zu riskieren, um einer Notsituation zu entfliehen, aber weit weniger als heute.
Was bräuchte es, damit die koordinierte Aufnahme von 500.000 Menschen pro Jahr funktioniert? Erstens: ein gemeinsames europäisches Antragsverfahren, das es ermöglicht, dass Menschen bereits außerhalb der EU einen Asylantrag stellen können. Zweitens: Es bräuchte einen solidarischen Aufnahme- und Finanzierungsschlüssel. Das heißt, Staaten, die, gemessen an ihrer EinwohnerInnenzahl, Wirtschaftskraft und sozialen Situation überproportional viele Schutzsuchende aufnehmen, sollten aus einem EU-Topf Ausgleichszahlungen erhalten.
Diese Ausgleichszahlungen sind wichtig, denn die Aufnahme von Schutzsuchenden ist nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit, der Solidarität und der globalen Stabilität, sondern auch eine große Herausforderung. Deren Bewältigung bedarf entsprechender Mittel und Strukturen, aber auch der Abkehr von der in Österreich praktizierten Desintegrationspolitik. Es braucht von Anfang an Maßnahmen und Programme, die es Schutzsuchenden rasch ermöglichen, Fuß zu fassen.
Übrigens: Das derzeit wegen seiner brutalen „No Way“-Kampagne von AsylgegnerInnen gerne als Vorbild genannte Australien ermöglicht pro Jahr 190.000 Menschen die legale Einreise, darunter auch vielen Flüchtlingen. Australien hat 23 Millionen EinwohnerInnen. Umgerechnet auf die mehr als 20 Mal so große Bevölkerungszahl der EU würde der australische Weg bedeuten, dass die EU jedes Jahr nicht nur 500.000, sondern mehr als 4 Millionen Menschen die Einreise ermöglichen würde.
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