Wo bleiben die Guten?
CLARTEXT. Wir JournalistInnen wollen Missstände aufzeigen und lassen dabei oft die Guten links liegen. | Clara Akinyosoye sagt es nicht durch die Blume. Eine Kolumne über Diversität und Migration.
Medien sind voll von schlechten Nachrichten: Krieg, Flucht, Menschenrechtsverletzungen. Ich gebe zu, ich habe das meinige dazu beigetragen. Denn wenn Muslima bespuckt und gestoßen, schwarze Menschen diskriminiert und misshandelt, und Flüchtlinge kriminalisiert und stigmatisiert werden, ist das Öffentlich-machen solcher Missstände eine journalistische Pflicht. Besonders vor dem Hintergrund, dass sich die innenpolitische Berichterstattung vieler Medien darin erschöpft, parteipolitische Debatten nachzuzeichnen. Und wer den parteipolitischen Diskurs verfolgt, weiß, dass die „Das-Boot-ist-voll“-Rhetorik der Rechten längst ihren Platz in die politische Mitte und in die Leitartikel etablierter Medien gefunden hat. All das findet neben den ohnehin gezielten Anti-Asyl-Kampagnen kleinformatiger Zeitungen statt. Wer weiter links steht, will andere Nachrichten vermitteln, berichtet über brennende Asylheime, alarmierende Rassismus-Studien und BürgerInnenproteste gegen die Ankunft Schutzsuchender. Linke, rechte, konservative und liberale MedienmacherInnen: Sie eint, dass sie ihrem Publikum – wenn auch mit vertauschten Rollen – TäterInnen und Opfer präsentieren. Es ist mitunter eine trostlose Welt, eine enttäuschend mutlose Gesellschaft, die man in den Medien wiederfindet. Und es ist daher ein wenig ruhmreiches Porträt, das wir von ihr zeichnen. Das hat seine Berechtigung. Aber unlängst musste ich über diese journalistische Praxis nachdenken. Der Auslöser? Bei einer Podiumsdiskussion blieb mir regelrecht der Mund offen. Eine – wie sie sich selbst bezeichnete – „einfache Hausfrau“ wies den stellvertretenden Bürgermeister von Klosterneuburg an, am nächstfolgenden Werktag im Innenministerium anzurufen. Er solle dafür sorgen, dass die AsylwerberInnen in der Magdeburger-Kaserne in Klosterneuburg bleiben können. Die resolute Frau war nicht die einzige, die sich für den Verbleib der rund 200 Flüchtlinge im Ort einsetzte. In Klosterneuburg will eine Vielzahl der BürgerInnen, dass die Flüchtlinge bei ihnen bleiben. Die BürgerInnen-Initiative „Klosterneuburg hilft“ engagiert sich für die Flüchtlinge, initiiert gemeinsame Aktivitäten, sammelt Kleidung und Spielzeug, und probt den Aufstand für und nicht gegen die Asylwerbenden. In den Medien ist darüber kaum berichtet worden. Klosterneuburg ist ein Vorzeigebeispiel für humanitäres Engagement, aber kein Einzelfall. Immer wieder haben sich BürgerInnen für Flüchtlinge stark gemacht, mit ihnen Deutsch gelernt, sie privat aufgenommen, sich gegen deren Abschiebung gewehrt. Doch wir JournalistInnen lassen diese Menschen meist links liegen. Wir wollen Missstände aufzeigen und vergessen dabei allzu oft auf die Guten, die Mutigen, die Selbstlosen. Schade. Denn es gibt viele von ihnen – und so ruhmreich wäre ihr Porträt.
Clara Akinyosoye, freie Journalistin und Ex-Chefredakteurin von M-Media.
Unterstützen Sie jetzt unabhängigen Menschenrechtsjournalismus mit einem MO-Magazin-Solidaritäts-Abo