Genderwahnsinn
Gendermainstreaming ist eines der erklärten Feindbilder von Rechtskonservativen. Sie sind damit aber auf dem falschen Dampfer. Unsere Dienstleistungsgesellschaft von heute fragt vor allem nach Männern mit neuen Social skills. Text: Johanna Müller, Illustration: PM Hoffmann
Buben, die schon im Kindergarten lernen, Nägel zu lackieren, schwule Ampelmännchen, Binnen-Is in Schulbüchern, Strafzettel, die allen Ernstes davon ausgehen, dass auch Frauen Autos lenken, Männer als Frau mit Bart: Rechtskonservative Kräfte treibt der „Genderwahnsinn“ regelmäßig an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Dann verschicken sie OTS-Meldungen oder plakatieren „echte Frauen“, wie der Ring Freiheitlicher Studenten im vergangenen Sommer – zur visuellen Ordnung der Gedankenwelt. Das ist mitunter drollig, aber eigentlich ein Problem. Tradierte Männlichkeitsideale werden in unserer Gesellschaft immer seltener nachgefragt.
„Weibliche“ Skills gefragt
„Es gibt wahrscheinlich genug Männer, die das Rad der Zeit am liebsten zurück drehen würden“, sagt Marc Pointecker, Leiter der Gruppe B für sozialpolitische Grundsatzfragen im Sozialministerium. Zu dieser Gruppe gehört auch die Abteilung Fünf: „Männerpolitische Grundsatzfragen“. Pointecker sitzt damit aus der Sicht mancher an einer der Schaltstellen des Genderwahnsinns. „Die Bedingungen für die vermeintlich gute alte Zeit sind aber nicht mehr da. Es wäre deshalb wichtig, dass sich die Rollenvorstellungen, die manche noch im Kopf haben, wieder mehr der Realität annähern“, sagt er. Diese neue Realität sieht so aus, dass das, was als traditionell männlich gilt, heute immer weniger gefragt ist: In der Arbeitswelt der de-industrialisierten Dienstleistungs- und Wissensgesellschaften werden Flexibilität, Einfühlsamkeit, Teamgeist und Kompromissbereitschaft verlangt. Eigenschaften, die traditionell als weiblich und nicht als Teil tradierter Männlichkeitsbilder gelten. Starre Muster wie diese werden heute zum Problem, sagt Nils Pickert: „Die Gesellschaft hat sich weiterentwickelt. Heute stellen wir an Menschen allgemein die Anforderung, dass sie sozial einigermaßen kompetent sind.“ Pickert ist Buchautor, Journalist und Vater von zwei Söhnen und einer Tochter. In der Tageszeitung „Der Standard“ schreibt er die Kolumne „Mann könnte ja mal...“, in der er sich mit Geschlechterfragen beschäftigt. „Wenn wir nicht aufhören, bestimmte Eigenschaften geschlechtstypisch zu labeln, erlauben wir den Männern nicht, sich Fähigkeiten anzueignen, die Erfolg versprechend sind.“ Doch in der Dienstleistungsgesellschaft wird nicht nur Einfühlsamkeit wichtiger, zugleich steigt auch der Konkurrenzdruck am Arbeitsmarkt, während gering qualifizierte Jobs verschwinden. Hohe formale Bildung bedeutet nicht mehr automatisch sozialen Aufstieg. Mit nur einem Einkommen finden Familien oft nicht mehr das Auslangen. Bleiben damit Männer zurück, wenn sie sich nicht ändern dürfen?
Identität durch Status
Männer sind ein privilegiertes Geschlecht. 95 Prozent der top 500 CEOs, die das Fortune Magazine jährlich listet, sind männlich – ebenso wie 93 Prozent aller Regierungschefs und 98 Prozent aller Milliardäre laut Forbes. Der durchschnittliche Stundenlohn von Männern liegt etwa 20 Prozent höher als der von Frauen. Männer leben in der Regel für ihre Arbeit. Auch wenn sie Väter werden, schieben sie Überstunden, dann mitunter erst Recht, verweist Marc Pointecker auf eine Studie. Der Psychologe Romeo Bissuti, Leiter des Männergesundheitszentrums MEN in Wien, erklärt das so: „Der entsprechende klassische Männlichkeitsentwurf beruht auf Status und Macht.“ Der fatale Kurzschluss sei, dass „viele Männer glauben, nur wenn sie einen hohen Status haben, sind sie ein richtiger Kerl.“ Zu Bissuti kommen Männer oft erst dann, wenn sie eine Krise erleben: Wenn die Partnerin sie verlassen hat, sie am Arbeitsplatz gemobbt werden, wenn sie schwer erkranken, Erektionsstörungen oder Depressionen haben oder wenn sie bereits daran denken, sich umzubringen. Die meisten Männer kommen überhaupt nur ins Zentrum, weil sie vom Arbeitsplatz oder einer Partnerin geschickt werden. Die Vorstellungen von Männlichkeit sind so wirksam, dass Männer blind werden für die Gewalt, die sie sich selbst und anderen antun: „Der Gedanke ist der: Entweder ich habe einen entsprechenden Status oder mein Leben ist nicht lebenswert“, sagt Bissuti.
Der Preis für das Leben an der Spitze der Geschlechterordnung ist hoch. „Identität ist generell ein problematisches Konstrukt und mit hohen Kosten verbunden, weil sie von Machtprozessen durchzogen ist“, sagt Bissuti. Die klassisch männliche Identität, die alles, was weich und verletzlich ist, ausschließen muss, ist besonders risikoreich und befördert einen entsprechenden Lebensstil. Statistisch bedeutet das: Männer sterben früher als Frauen, sie nehmen sich häufiger das Leben, landen schneller im Gefängnis. 79 Prozent aller Mordopfer weltweit sind männlich. Sucht, Schulabbruch, Gewalt gegen sich und andere, Burnout, Bluthochdruck, Herzkreislauferkrankungen – all das betrifft vor allem Männer.
Bildungsmanko
Es ist eigentlich die Ökonomie mit ihrem Bedarf an Social skills und Qualifikationen, die die Identitätsfrage aufwirft. Durchsetzungsstark und wettbewerbsorientiert sollen Männer außerdem noch sein. Die ökonomische Entwicklung gestaltet sich für gering qualifizierte Männer besonders schwierig. „Wir stellen fest, dass auch Männer zunehmend armutsgefährdet sind. Leiharbeit zum Beispiel ist stark männerdominiert“, sagt Marc Pointecker. Diese Männer haben dann ein doppeltes Problem: Zur marginalisierten sozialen Position kommt ihre Demütigung als Mann. Es sind die gering qualifizierten Männerjobs in der Industrie, die durch neue Technologien und die Globalisierung des Kapitals verschwinden. Wer nur einen Pflichtschulabschluss hat, ist heute schnell Außen vor, während Mundl Sackbauer damit noch eine Familie ernähren konnte.
Für den Schweizer Markus Theunert heißt es in dieser Situation, aufzupassen – und zu reagieren. Theunert war der erste Männerbeauftragte des Kantons Zürich. „Eine Reaktion auf die erlebte Verunsicherung wird sein, sich an alten Mustern festzukrallen, was nicht viel bringen wird, oder aber sich davon zu lösen.“ Den Soziologen beschäftigt die Frage, was mit denen passiert, die in der Schleife männlich = mächtig gefangen bleiben. „Meine Sorge ist, dass man diese Jungs, weil sie zum Beispiel gewalttätig werden, als Störenfriede identifiziert und ihr Problemverhalten individualisiert. Ich sehe da aber eine ausgeprägte soziale Mitverantwortung. Die Gesellschaft als Ganzes hat versagt, lebbare zukunftsfähige Rollen anzubieten.“
Männer mit Kinderwägen
Sven Philipp und Martin Rheinländer sind zwei Berliner in ihren Dreißigern. Sie sind Gründer der Plattform „Männlichkeit stärken“. Zu ihnen kommen vor allem Männer, die es schwer finden, Frauen anzusprechen, die Probleme mit ihrer Sexualität haben oder sich allgemein schlecht fühlen. Aus ihrer Perspektive besteht das Problem nicht in einem zuviel an Männlichkeit, sondern im zu wenig. „Vielen Männern fehlt eigentlich eine männliche Identität. Extreme Weichheit und extreme Härte sind der Ausdruck davon“, sagt Sven Philipp. Es fehle vor allem an männlichen Vorbildern, an Erziehern in den Kindergärten zum Beispiel, die „auch mal mit den Jungs in den Wald gehen, um richtig wild zu sein.“ Risikoverhalten wie S-Bahnsurfen und Komasaufen seien das Ergebnis von Bewegungs- und Ausdrucksmangel einerseits und fehlender ritualisierter Übergänge in das Mannsein andererseits. „Es gibt keinen Vater mehr, der sagt, Junge, Du bist ein guter Mann geworden.“ Tatsächlich finden Mädchen oft weniger risikobehaftete Antworten auf Orientierungslosigkeit. Lob und positive Bestärkung seien in jedem Fall wichtig und zentral. Für Romeo Bissuti ist der „männliche Kern“ nicht die Lösung, sondern das Problem. „Identitätskonstrukte sind ausschließend. Die Suche nach der männlichen Identität führt dann zu einer Art Ich-AG. Man sucht eine individuelle Lösung und bestätigt die Bedingungen, die einen eigentlich unterdrücken.“ Auch Nils Pickert sieht das ähnlich: „Statt bestimmte Eigenschaften als männlich zu identifizieren und einzufordern, wäre es besser, zu sagen: Männliche Identität ist das, was ich als Mann tue, egal ob ich fürsorglich bin, weich oder hart.“
Tatsächlich sieht man auch heute schon Männer auf der Straße, die den Kinderwagen schieben. Es soll auch schon Männer geben, die in Familienkarenz gehen, die Veränderungen sind bislang aber eher zögerlich. Ausbildungen wie Kindergärtner oder Krankenpfleger ziehen nur wenige in Betracht, auch wenn Lehrstellen immer knapper werden. Auch die Pflege von Angehörigen, Kindererziehung, Arbeit im Haushalt sind in der Regel Frauensache. EU-weit leisten Männer in der Woche neun Stunden Hausarbeit, etwas mehr als die Amerikaner immerhin, und Frauen 26 Stunden, wie Markus Theunert anhand einer Studie von Eurofund zeigt. Auch wenn sie Väter werden, sind Männer offenbar nur schwer aus dem Büro wegzukriegen: In Österreich hat sich laut Arbeiterkammer der Anteil männlicher Kindergeldbezieher seit 2006 von acht Prozent mehr als verdoppelt, aber zwei Drittel der Väter mit Karenz gehen spätestens nach drei Monaten wieder zurück in den Beruf. Männer, so die zuständige AK-Expertin Ingrid Moritz, orientierten sich an der „kürzestmöglichen Bezugsdauer“, Frauen an der längstmöglichen. „Das heißt nicht, dass die Väter nicht gern bei ihren Kindern bleiben wollen“, sagt Marc Pointecker. Im Gegenteil: Eine andere Studie der Arbeiterkammer habe gezeigt, dass Männer, die in männerdominierten Branchen arbeiten, gerne weniger arbeiten würden, um mehr Zeit mit ihrer Familie zu verbringen. Das Problem seien nicht die Väter, meint Pointecker. „Wir haben in Österreich eine ausgeprägte Überstundenkultur. Männer haben Angst, ihren Job zu verlieren, wenn sie in dieser Kultur dann mehrere Monate zu Hause bleiben.“ Hinzu käme, dass viele Eltern nicht auf das (höhere) männliche Einkommen verzichten können. „Es läuft dann darauf hinaus, dass die Männer weiterhin Vollzeit arbeiten und sogar Überstunden machen, um das Familieneinkommen zu optimieren. Das ist nicht im Einklang mit dem, was die Männer wollen.“
Der Teilzeitmann
„Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler“, formuliert es Markus Theunert. Soll heißen: „Die Frage ist eigentlich, wie man die Väter selbst zu Agenten des Wandels machen kann.“ Kampagnen appellieren an Männer oft als die passiven Empfänger, wenn es um Fairness geht. Für Theunert ist das zu kurz gegriffen. „Es ginge darum, Männer zu Mitgestaltern der Veränderungen zu machen. Natürlich tragen Männer auch individuell Verantwortung, die Lösung muss aber eine gesellschaftliche sein.“ Vor kurzem hat die Plattform Männer.ch eine Kampagne für den Teilzeitmann gestartet: Dabei wurde der Teilzeitmann, dargestellt mit einem T auf der Brust wie einst das S von Superman, zum modernen Helden stilisiert – ein Zugang, den Theunert zuerst „unerträglich“ fand, weil er für heroisch erklärte, „was doch nur anständig ist“. Die Kampagne war dann sehr erfolgreich. „Wir haben gesehen, dass es unglaublich wichtig ist, dass der Betrieb Teilzeit von Männern unterstützt; dass der Betrieb klar sagt, ‚Du bist als Arbeitnehmer immer noch ok, auch in Teilzeit‘.“
Schweden mit einer Väterkarenzquote von 25 Prozent gilt vielfach als das große Vorbild. „In Schweden sind Männer mit Kinderwagen eine Selbstverständlichkeit“, sagt Romeo Bessuti. „Das ist aber nicht einfach so passiert. Es ist das Ergebnis staatlicher Regulation.“ 480 Tage Karenz stehen schwedischen Eltern zu. Bezahlt werden bis zu 100 Euro täglich, um das entgangene Einkommen zu ersetzen. Teilen sich die Partner die Karenz zu gleichen Teilen auf, erhalten sie eine Prämie von 1.400 Euro je Kind. Nachdem die Frauen aber immer noch 75 Prozent der Karenz machen, reichen die Maßnahmen offenbar nicht aus, um beiden Geschlechtern ein ausgeglichenes Verhältnis von Erwerbs- und Familienleben zu ermöglichen. „Die schwedische Gleichstellungspolitik ist mit gesellschaftlichen Weichenstellungen verbunden, die mir zumindest diskutabel erscheinen“, sagt Markus Theunert. Er ist selbst Vater einer Tochter. „Sie geht an drei Tagen in die Kita. Unter der Woche teilen meine Frau und ich uns die Arbeit auf. Das funktioniert gut. Bei der Variante, dass beide 100 Prozent arbeiten und das Kind geht an fünf Tagen in der Woche in die Kita, habe ich den Verdacht, dass es da mehr um die Bedürfnisse des Kapitalismus geht, als um Gleichberechtigung.“ Er findet es problematisch, wenn Gleichstellungspolitik dazu genutzt wird, beiden Geschlechtern das „männliche Herrschaftsprinzip von Fremd- und Selbstausbeutung“ aufzuzwingen. Es ist eben nicht viel gewonnen, wenn statt der Männer nun Frauen in der Arbeit verschlissen werden oder beide. „Nach gängigen kapitalistischen Kriterien schaffen es nur die Frauen, die bereit sind, den Eintrittspreis zu bezahlen, indem sie 60-Stunden-Wochen schieben und sich eine entsprechende Ellenbogenmentalität zulegen.“
Damit wären wir dann wieder beim alten Genderwahnsinn. Nur mit umgekehrten Vorzeichen.
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