Propaganda für das Unterbewusstsein
Gibt es eine Psychologie des rechten Wählers? Ein Gespräch mit dem Kärntner Psychologen Klaus Ottomeyer. Interview: Ali Cem Deniz
Wenn die Psychologie auf die Politik trifft, passiert das oft in einem populärwissenschaftlichen Rahmen: da liest man dann von schüchternen Konservativen und risikofreudigen Linken. Sind das nur pseudowissenschaftliche Klischees und was kann die Psychologie wirklich beitragen, um politische Einstellungen besser zu verstehen?
Klaus Ottomeyer: Wir schauen zunächst auf die Statistik. Die demografischen Daten zeigen uns beispielsweise, dass der Anteil der Männer, der Arbeiter und der kleinen Angestellten, die kein besonderes Bildungsprivileg genossen haben, unter den rechten WählerInnen hoch ist. Das ist nicht wertend zu verstehen. So sind die Fakten. Dazu muss man auch die Dynamik, mit der rechte Gruppen entstehen, beobachten, und zwar abseits von Zahlen und Statistiken. Da sehen wir dann reale Probleme und Ängste
Die da wären?
Die Flüchtlingsproblematik ist ein Thema, das überall und in allen Segmenten der Gesellschaft für Diskussion sorgt. Hier schafft es derzeit keine Gesellschaft, nachhaltige Lösungen zu finden. Daraus entstehen auch reale Ängste, die dann durch politische Propaganda zusätzlich aufgeladen werden.
Viele projizieren den eigenen moralischen “Schmutz”, das “Unsaubere”, das wir manchmal praktizieren und die eigenen Aggressionen auf “den Flüchtling”. Dann entstehen auch Plakate wie bei den letzten Landtagswahlen in der Steiermark, wo ein Flüchtling als IS-Kämpfer in einer Dorfidylle abgebildet wird. So werden reale Probleme aufgeladen und gleichzeitig eigene innere Spannungen aufgelöst und unterdrückt.
Wie kommt es zu diesen Projektionen?
Die eigene Gier, mit der wir alle im Zeitalter Konsumkapitalismus kämpfen, und auch der eigene Neid werden projiziert. Deshalb fantasieren Rechte die Flüchtlinge als eine Art „Sozialtouristen“, die alles bekommen, ohne dafür was machen zu müssen. Diesen Neid finden wir nicht nur, wenn es um finanzielle Dinge geht. Es herrscht auch in der Sexualität eine große Angst vor der Rivalität. Viele fürchten sich vor den jungen Migranten, die uns die Frauen wegnehmen oder vor der Fruchtbarkeit von MigrantInnen. Leute wie Thilo Sarrazin („Deutschland schafft sich ab“, Anm.) versuchen dann diese Ängste mit Zahlen zu untermauern.
Wieso sind diese Themen für die Rechten besonders attraktiv?
Wir erleben seit langem eine Dauerkrise des Patriarchats verbunden mit einer neoliberalen Freizügigkeit und der Relativierung von Geschlechterrollen. Darauf haben wir eine neo-patriarchale Reaktion. Eine Sehnsucht nach der autoritären, männerdominierten Familie tritt auf.
In Österreich manifestiert sich dieser Konflikt in der Gegenüberstellung von Fans von Conchita Wurst und Andreas Gabalier. Die FPÖ versucht Gabalier zum Symbol des ordentlichen, wehrhaften Heterosexuellen zu machen, der sich gegen die Relativierung der Geschlechter stellt.
In dieser Diskussion können sich FPÖ-Politiker als quasi Verfolgte präsentieren: die ordentlichen Heteros, die gegen das dominante System rebellieren. Genauso fordert ja auch in Deutschland die PEGIDA das Ende von Gendering. Und auch schon bei Jörg Haider war seine Rolle als zielbewusster, attraktiver Mann Teil der politischen Propaganda.
H.C. Strache pflegt heute aber ein anderes Männlichkeitsideal als Haider.
Strache ist viel gröber und kann nicht auf so vielen unterschiedlichen Klaviaturen spielen. Bei ihm herrscht immer der Grundton der Empörung. Haider hingegen war „verführerischer“. Er war ja auch formal gesehen intelligent und sogar einfühlsam – wenn auch zum Zwecke des Betruges. Strache muss seine WählerInnen nicht verführen, sie laufen auch von alleine zu ihm zu, weil die anderen Parteien es nicht schaffen, die Menschen für eine gemeinsame Zukunftsvision zu faszinieren.
Die anderen Parteien entkommen den neoliberalen Sachzwängen nicht. Sie sind hilflos gefangen, während Strache einen Ausbruch verspricht. Diese Versprechen nehmen besonders in der Diskussion um Migration und Asyl brutale Züge an. Bei Haider war dieser aggressive Ton nur einer von verschiedenen Tönen. Haider spielte gern die Rolle des Sheriffs, der für Ordnung sorgt, aber er blieb dabei immer verführerisch und charmant. Damit war er auch ein Heilmittel gegen die allgemeine Langeweile. Aktuell versucht Stefan Petzner diesen Abglanz weiterzutragen und auch die Medien warten wieder auf so eine schillernde Figur. Strache kann das nur teilweise – zum Glück.
Während die anderen Parteien unter dem Diktat des Neoliberalismus immer ununterscheidbarer werden, präsentiert sich die FPÖ besonders in Wien als die einzige „Arbeiterpartei“. Ist da der „grobe“ Strache nicht besser geeignet als Haider, der „Verführer“?
H.C. Strache ist ja Zahntechniker. Nichts gegen Zahntechniker, aber das beruhigt seine WählerInnen. Ein Verführer muss ja immer beides verkörpern als ein „großer kleiner Mann“. Er muss gleichzeitig einer von den einfachen Leuten sein und etwas Größeres verkörpern, ein Glamour, eine Hoffnung. Das bringt Strache in einem bestimmten Segment zusammen.
Bei Haider war es hingegen so, dass selbst kritische PolitikerInnen anlässlich seiner Trauerfeier davon sprachen, was für ein feiner und berührender Mensch er war. Das sind im Grunde erotische Qualitäten, die quer durch die Geschlechter und Schichten gehen.
Haider hatte immer das Potenzial, Menschen außerhalb seiner Basis zu erreichen. Was erhoffen und erwarten sich WählerInnen von Strache, der den ewigen Außenseiter spielt?
Strache fordert immer das Ende der Ausgrenzung und das fordern viele Menschen auch für sich persönlich. Menschen, die das Gefühl haben, dass sie mit den gesellschaftlichen Veränderungen nicht mehr mithalten können.
Rechte WählerInnen fürchten ja nicht nur die Konkurrenz durch Menschen, die von Außen kommen, sondern sehen auch innerhalb der Gesellschaft Bedrohungen. Stichwort: Gutmensch.
Wir haben ja alle ein Gewissen, ein Über-Ich. Das lässt sich nicht abschaffen, aber wir können dieses Über-Ich und die Hilfsverpflichtung, die wir alle verspüren, wenn wir notleidende Menschen und besonders Kinder sehen, verdrängen. Das geht, wenn man Flüchtlinge als Simulanten fantasiert, als egoistische Wirtschaftsflüchtlinge und Faulpelze. Dann fällt diese Hilfsverpflichtung weg und die, die ihnen helfen werden abwertend als Gutmenschen oder im Extremfall als „Tugendterroristen“ bezeichnet, wie es Herr Sarrazin macht.
Die FPÖ und andere rechte Gruppierungen wie PEGIDA oder die Identitären hingegen behaupten immer, dass die Türen für „echte“ Flüchtlinge offen bleiben müssen.
Das ist ein kleiner Tribut, den man an das Gewissen zahlt. Nach dem Motto „Ich bin ja kein Ausländerfeind, aber...“ und dann kommt eine rassistische Geschichte nach der anderen. Das ist ein Zugeständnis daran, dass wir ein Gewissen haben, weil sich niemand gerne gewissenslos sieht. Da sagen Rechte, dass die „Echten“ bleiben dürfen und dann geht es wieder pauschal gegen die Migranten, die Muslime, die Flüchtlinge. Diese „echten“ Flüchtlinge gibt es in der Praxis gar nicht. Diese kurze Differenzierung dient letztendlich nur zur Abwehr des Gewissens.
Viele rechte Wähler leiden nicht nur unter finanzieller Armut, sondern auch unter Bildungsarmut. Stecken hinter dem Frust gegen die Gutmenschen auch Elemente eines Klassenkampfs?
Das muss man etwas relativieren: Bei PEGIDA sehen wir, dass auch viele gut gebildete Menschen dabei sind, wobei man sagen muss, dass es ihnen trotzdem nicht gut gehen muss. Heute ist ja ein Uni-Abschluss keine Garantie dafür, dass man erfolgreich ist. Die „Gutmenschen“ stellen sich viele als diejenigen vor, die aus einer privilegierten Position gut reden haben, während die einfachen Bürger und Bürgerinnen mit den harten Realitäten konfrontiert sind.
Haider hat schon mit einer Art Bierzelt-Sozialismus gegen die Intellektuellen und Kulturschaffenden als „Ausbeuter“ und „Privilegierte“ mobilisiert. Dass wir nach wie vor eine Klassengesellschaft sind, ist evident, der Unterschied zwischen Arm und Reich vergrößert sich. Es findet nun eine Verschiebung des Klassenkampfs statt, in dem die Gutmenschen die Feinde sind und selbst Flüchtlinge als Ausbeuter fantasiert werden.
Sie sagen, dass die Ängste der Menschen nicht unbegründet sind, aber verstärkt werden. Wie unterscheidet man zwischen „echten Ängsten“ und Fantasien?
Worüber wir eigentlich reden müssten und das ist sehr schwierig psychologisch, sind Neidgefühle. Wenn Sie die Neidgefühle eines Menschen ansprechen, stoßen sie auf eine massive Ablehnung. Das kann man etwas mit Humor versuchen oder mit Empathie. Nicht mit dem Finger auf die zeigen, die Neid und Ressentiment empfinden, sondern in der Ich-Form reden und erkennen, dass wir alle manchmal neidisch werden. Alle Menschen brauchen Anerkennung, das ist die wichtigste Nahrung für ein stabiles Selbstwertgefühl. Menschen müssen das Gefühl haben, dass sie gebraucht werden, dass sie respektiert werden und dass ihre Leistungen gewürdigt werden. Sie brauchen aber auch Anerkennung in persönlichen Beziehungen, in Liebesbeziehungen und in ihrer Familie.
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