Menschen auf der Straße
Kontakte vor dem Flüchtlingslager in Traiskirchen. Fotostrecke: Karin Wasner, Text: Gunnar Landsgesell
Traiskirchen Ende Juli 2015. Das ist die größte Schande Österreichs seit langer Zeit. Überraschend und bedrückend zugleich: Wie still die Menschen der Dinge harren. Niemand will etwas von einem: kein Geld, keine Telefonnummer, niemand bettelt um Unterstützung. Doch die Leute besitzen nichts als die Kleidung an ihrem Körper, und, falls sie Glück haben, ein Handy. Die Gesichter der Menschen, mit denen wir gesprochen haben, zeigen: Zwischen Lächeln und Tränen ist es nicht weit, aber die Erschöpfung und Verunsicherung liegt über allem. Wer vor Menschen, die geflüchtet sind, Angst hat, sollte nach Traiskirchen fahren und das Gespräch suchen. Oder gleich eine Patenschaft übernehmen. Die vehement geführte Abwehrdebatte vieler Gemeinden erscheint dann schnell sehr fern. Mütter berichten, dass sie von ihren Kindern getrennt werden, über deren Unterbringung sie nicht genau informiert werden. Wartende vor dem Lager, teils aus Deutschland angereist, wird jede Information verweigert, ob ihre Angehörigen in diesem Lager aufgenommen wurden. Für Innenministerin Mikl-Leitner gilt: Sie sollte für das schwere systemische Versagen Verantwortung zeigen und zurücktreten.
Familienportrait. Eine toughe Mutter (51) mit ihren Söhnen. Ihr Ehemann ist tot. Aus ihrem Dorf nahe Damaskus, wo ihre Wohnung zerstört wurde, schlugen sie sich über ein Monat lang, teilweise zu Fuß, nach Österreich durch. Zum Zeitpunkt der Aufnahme sind sie 3 Tage in Traiskirchen. Sie schlafen auf der Wiese, auf einem Karton. Die Mutter sagt, sie haben keine Kleider, keine frische Unterwäsche.
Samir S., aus Damaskus, angetroffen auf dem nackten Gehsteig vor dem Lager, wie andere auch. Er möchte sich zuerst nicht portraitieren lassen, sein ungepflegter Zustand und das T-Shirt aus der Kleidersammlung sind ihm peinlich. Er war 45 Tage auf der Flucht, seit 10 Tagen ist er im Lager in Traiskirchen, er schläft im Freien auf dem Boden. In Syrien, wo er Tankstellenpächter war, warten zwei Kinder, 6 und 7 Jahre alt, auf seine Hilfe. Bei Samir S. liegen die Nerven blank, er sagt: „I want to go back.“
Zwei Frauen auf der Flucht. Tamara (40), aus Bagdad, ist ausgebildete Französisch-Dolmetscherin. Sie kam mit ihrer Mutter Amal, sechs Monate waren sie unterwegs. Ihr Vater wurde getötet. Ihre Brüder konnten sich in die Türkei durchschlagen. Seit einem Monat lebt sie mit ihrer Mutter im Lager in Traiskirchen. „It is so difficult“, sagt Tamara. Ihre Zukunft? „I’d like to find something better, but not Iraq.“
Amal (68), aus Bagdad. Sie brauchte sechs strapaziöse Monate, um mit ihrer Tochter Tamara aus Bagdad nach Österreich zu kommen. Sie hat alles verloren. Das schlimmste für sie ist die Ungewissheit. Nicht zu wissen, wie es weitergeht. Im Irak hat sie als Lehrerin gearbeitet. Sie spricht gut Englisch, möchte aber rasch Deutsch lernen, um sich besser verständigen zu können.
Rasheed, syrischer Kriegsflüchtling aus der Stadt Duma nahe Damaskus, studierte Facharzt für Psychiatrie. Seine Eltern und Geschwister flüchteten vor zwei Jahren nach Ägypten, wo es gerade für das Überleben reicht. Ein Jahr später musste auch er fliehen. Gemeinsam mit einem Freund schaffte er es nach Österreich. Nun wurden auch sie getrennt. Im Lager in Traiskirchen bot Rasheed seine qualifizierte Mithilfe für Krankenbetreuung an, man lehnte ab. Doch wer spricht hier Arabisch? Die Perspektivlosigkeit sei das Schlimmste, sagt der junge Facharzt.
Diese Frau ist mit drei ihrer sechs Kinder aus Hama, Syrien, nach Österreich geflohen. Um die Flucht zu finanzieren, hat ihr Ehemann alles, auch die Wohnung, verkauft. Nun lebt ihr Mann mit den anderen drei Kindern in der Wohnung seines Bruders, praktisch mittellos. Die Frau hat Angst, sie spricht nur Arabisch, sie wirkt aufgelöst. Sie sagt: „Egal wo in Europa wir sind, Hauptsache meine Kinder sind in Sicherheit.“ Doch von zwei ihrer Söhne wurde sie getrennt. Einer sei in Graz, vom anderen weiß sie nicht, wohin er gebracht wurde. Seit einem Monat ist sie in Traiskirchen, vielleicht sitzt sie jeden Tag hier, vor dem Lager, an der Gehsteigkante.
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