Vorsicht, weniger Kriminalität!
HANDLUNGSBEDARF. Die Kriminalitätsrate sinkt, die Aufregung über Kriminalität steigt jedoch. Verantwortlich dafür sind Boulevardmedien und perfide Identitätspolitik. Kommentar: Alexander Pollak
Boulevardmedien liefern dieser Tage mehr Dramatik als je zuvor. Der Wettkampf um den ultimativen Aufreger führt dazu, dass Kriminalfälle auch und gerade in Zeiten sinkender Gesamtkriminalität nach allen Regeln der Kunst ausgeschlachtet werden. Auch Parteien nutzen Kriminalität für ihre Zwecke. Mit gezielt ausgewählten Fällen versucht etwa die FPÖ den Beweis dafür zu erbringen, dass Einwanderung eine Bedrohung für Leib und Leben darstellt. MigrantInnen sollen als gefährliche Kategorie Mensch gebrandmarkt werden.
Die Statistik scheint der FPÖ auf den ersten Blick Recht zu geben. Der Ausländeranteil in Österreich lag Ende 2014 bei 13,3 Prozent, der Anteil von AusländerInnen bei den Tatverdächtigen lag hingegen bei 35 Prozent. Stellen also die in Österreich lebenden NichtösterreicherInnen eine besondere Gefahr dar?
KriminalitätsforscherInnen sagen ganz klar „Nein“. Der von der Statistik wiedergegebene Ausländeranteil spiegelt nämlich nicht die Realität wieder. In Wahrheit halten sich nicht nur die etwas über 1,1 Million offiziell registrierten AusländerInnen in Österreich auf, sondern ein Vielfaches davon.
Mehr als 25 Millionen AusländerInnen nächtigten im Jahr 2014 als TouristInnen in Österreich. Zusätzlich kommen tagtäglich Menschen als PendlerInnen über die Grenze, um in Österreich zu arbeiten, ohne hier niedergelassen zu sein. Und Millionen nutzen jährlich österreichische Verkehrswege und damit Österreich als Transitroute via Flughafen, Straßen und Bahn.
Insgesamt hielten sich im Jahr 2014 somit nicht nur 1,1 Millionen, sondern deutlich mehr als 30 Millionen NichtösterreicherInnen teils kurzfristig, teils längerfristig in Österreich auf. Das heißt, es sind im Verlauf eines Jahres mehr als dreimal so viele NichtösterreicherInnen wie ÖsterreicherInnen auf österreichischem Boden unterwegs.
Falsche Relationen
Der Anteil der Tatverdächtigen ohne österreichische Staatsbürgerschaft muss also zu einer ganz anderen Größe in Bezug gesetzt werden als lediglich zu den Personen, die in Österreich ihren Lebensmittelpunkt haben. So erklärt sich auch, warum eine Studie des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie zum Schluss kommt, dass die Kriminalitätsrate unter den in Österreich niedergelassenen NichtösterreicherInnen nicht signifikant von der Kriminalitätsrate der Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft abweicht.
Eine Ausnahme gibt es jedoch: Asylsuchende. Sie sind als Tatverdächtige überrepräsentiert. Das hat mehrere Gründe. Der wichtigste ist, dass ihre demographische Struktur atypisch ist. Etwa drei Viertel von ihnen sind Männer. Von den in Österreich angezeigten Tatverdächtigen sind (unabhängig von Staatsbürgerschaft und Aufenthaltsstatus) 80 Prozent Männer. Bei den schweren Verbrechen sind es sogar mehr als 85 Prozent.
Auch das Alter spielt eine große Rolle. Personen jüngeren und mittleren Alters sind in der Kriminalstatistik überrepräsentiert, ältere Menschen unterrepräsentiert. Das sind, neben der Tatsache, dass Asylsuchende weitgehend aus dem Erwerbsleben und oftmals auch aus dem Bildungsbereich ausgeschlossen sind und es darüber hinaus eine Reihe an Straftatbeständen gibt, die ausschließlich NichtösterreicherInnen und hier insbesondere Asylsuchende betreffen, die wichtigsten Faktoren, die zu ihrer Überrepräsentation in der Kriminalitätsstatistik beitragen. Auch ihre vielfach prekäre Unterbringungssituation auf engstem Raum führt zu einer höheren Wahrscheinlichkeit von Konflikten, die auch tätlich werden und zu Anzeigen führen können.
Insgesamt ist die Kriminalität in Österreich jedoch in den vergangenen 10 Jahren teils deutlich gesunken. Die Gesamtkriminalität ging laut Bundeskriminalamt zwischen 2004 und 2014 um mehr als 18 Prozent zurück, von 644.000 auf 528.000 angezeigte Fälle. Und das trotz gestiegener Bevölkerungszahl. Die Aufklärungsquote stieg im gleichen Zeitraum von 38,1 Prozent auf 43,1 Prozent. Österreich ist also sicherer geworden. Zugleich ist das Land zu einer Spielwiese eines aggressiven Boulevards und einer derzeit im Aufwind befindlichen Partei, die Identität als Waffe benutzt, um einen Keil zwischen Menschen zu treiben, geworden. Sicherheitsgefühl und Lebensqualität leiden darunter.
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