Kürzung allein nicht sinnvoll
ANDERE ÜBER ...Eine Reform der Mindestsicherung braucht ein Paket an Maßnahmen, um zu sinnvollen Effekten zu kommen. Kommentar: Margit Schratzenstaller
Seit einigen Wochen wird intensiv über Reformen der Mindestsicherung diskutiert. Unter anderem wird eine Deckelung des pro Familie monatlich ausgezahlten Betrages ins Spiel gebracht, wobei von einer Größenordnung von 1.500 € die Rede ist. Wie ist dieser Vorschlag zu beurteilen? Zunächst sei darauf hingewiesen, dass der Ausgabenposten, der hier zur Diskussion steht, verhältnismäßig klein ist. Zuletzt wurden für die Mindestsicherung 673 Millionen Euro ausgegeben: weniger als ein Prozent der Sozialausgaben. Die vorgeschlagene Deckelung würde nach Schätzung des Sozialministeriums knapp fünfzig Millionen Euro jährlich einsparen. Auch wenn solche Gegenüberstellungen immer hinken: Aber im Vergleich zu anderen Ausgabenposten mit diskussionswürdigen Wirkungen oder zu bestehenden Ineffizienzen bei den öffentlichen Ausgaben nimmt sich die Position in der Tat bescheiden aus: etwa gegenüber den Bankenhilfen, die bis Ende 2015 die öffentlichen Defizite um insgesamt 11,6 Milliarden Euro erhöht haben; oder gegenüber dem Einsparpotenzial im Spitalswesen (ohne Qualitätsverlust) von zwei Milliarden Euro jährlich. Gleichzeitig ist fraglich, ob eine solche Kürzung wie beabsichtigt die Anreize für eine Arbeitsaufnahme tatsächlich erhöhen kann. Über zwei Drittel der MindestsicherungsbezieherInnen stocken auf: Sie beziehen die Mindestsicherung ergänzend zu unzureichenden Erwerbseinkommen beziehungsweise Unterhalts-, Arbeitslosen- oder Notstandshilfezahlungen. Eine Deckelung der Mindestsicherung würde viele dieser MindestsicherungsbezieherInnen in Armut drängen – davon wären insbesondere Familien mit mehreren Kindern betroffen.
Eine Kürzung der Mindestsicherung speziell für Asylberechtigte, wie sie gelegentlich auch vorgeschlagen wird, wäre mit dem Gleichheitsgrundsatz wohl kaum vereinbar. Zudem haben anerkannte Flüchtlingsfamilien genauso hohe Ausgaben wie österreichische Familien, sodass eine Kürzung auch sachlich nicht gerechtfertigt erscheint. Dennoch sollte das bevorstehende Auslaufen der Bund-Länder-Vereinbarung, die die Mindestsicherung regelt, für Reformen genutzt werden. Denn die Mindestsicherung bietet für Familien mit Kindern in der Tat zu wenig Anreize für eine Beschäftigungsaufnahme. Besonders zielführend erscheint der Vorschlag, der etwa von AMS-Chef Johannes Kopf oder dem Diakonie-Vizedirektor Martin Schenk vertreten wird: Dass nach einer Arbeitsaufnahme vorübergehend nur ein Teil des Verdienstes auf die Mindestsicherung angerechnet wird.
Gleichzeitig reicht eine Reform der Mindestsicherung alleine nicht aus. Erstens resultieren die Beschäftigungsprobleme im unteren Einkommensbereich auch aus Qualifikationsdefiziten: Hier sind (Aus-)Bildungs- sowie aktive Arbeitsmarktpolitik gefragt. Zweitens macht die nach wie vor unzureichende Betreuungsinfrastruktur für allein Erziehende eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit nicht selten unmöglich. Drittens gehört ein beträchtlicher Teil der (potentiellen) MindestsicherungsbezieherInnen zu jener Gruppe am Arbeitsmarkt, die – unabhängig von ihren Bemühungen bei der Jobsuche – von der derzeit schlechten Arbeitsmarktlage besonders betroffen ist. Was schließlich die Gruppe der Asylberechtigten anbelangt: Die unbürokratische Anerkennung der Qualifikationen, die sie mitbringen, und ihre möglichst rasche Integration in Bildungssystem und Arbeitsmarkt ist langfristig auch für die öffentlichen Budgets die sinnvollere Maßnahme, weil so auf individueller wie gesamtgesellschaftlicher Ebene eine erfolgreiche Integration mit entsprechend geringeren Kosten wahrscheinlicher wird.
ZUR PERSON | Margit Schratzenstaller
Margit Schratzenstaller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). Sie ist Expertin für Budget- und Steuerpolitik sowie Entwicklung und Reformen des öffentlichen Sektors. Zuvor war sie Lehrbeauftragte an der Universität Wien und an der Universität Gießen (D).
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