Veranderung, Ausschluss und Selbstvergewisserung
Was in Köln und auch in anderen Städten geschah, ist sexuelle Gewalt und als solche zu ahnden. Darüber hinaus aber muss die öffentliche Debatte sorgfältig beobachtet und in ihrem ausschließenden Charakter unbedingt kritisiert werden. Text: Birgit Sauer, Foto: Karin Wasner.
"White men saving brown women from brown men.“ So beschreibt Gayatri Chakravorty Spivak in ihrer berühmten Schrift „Can the Subaltern Speak?“ eine zentrale koloniale Herrschaftsgeste, eine Strategie der Durchsetzung kolonialer Herrschaft, an der freilich auch „weiße Frauen“ beteiligt waren, wie man Spivak ergänzen sollte. Wichtig an den an diese Aussage anknüpfenden weiteren Überlegungen der Autorin ist, dass zum einen Prozesse des „Othering“, der „Veranderung“, das koloniale Setting auszeichnen, die über Geschlechterverhältnisse vermittelt sind. Darüber hinaus zeigen aber an Spivak anknüpfende Forschungen, dass in Prozessen dieses „Othering“ zugleich das koloniale weiße Selbst entsteht, dass mit dem kolonialen Abgrenzungsgestus also auch Prozesse der Selbstvergewisserung oder Selbstaffirmierung der KolonisatorInnen verbunden sind.
Auch in heutigen als postkolonial klassifizierten Zeiten sind diese Argumentationsmuster in europäischen Staaten präsent – und sie erfüllen nach wie vor ganz ähnliche Funktionen. Die wiedergängerische Sicht auf „die Anderen“ ist im postkolonialen Setting Europas, auch in Österreich und Deutschland, schon seit einer ganzen Weile angekommen. Das postkoloniale Denkmuster begegnet uns in den Diskussionen um die Körperverhüllung muslimischer Frauen oder um kulturelle Gewalt gegen Frauen seit dem Beginn des neuen Jahrtausends. Muslimische Frauen, so die Argumentation, werden von ihren Männern unterdrückt, ihnen wird Gewalt angetan, und deshalb müssen westlich-liberale Einwanderungsstaaten handeln und diese Frauen vor ihren patriarchalen und gewalttätigen, weil vormodern-unzivilisierten Männern schützen. Die Situation von strukturellen „Minderheiten“ in migrantischen Communities – seien dies Frauen oder Homosexuelle – und die Verpflichtung liberaler Staaten gegenüber diesen strukturellen und daher verletzbaren Minderheiten ist durchaus komplex, hat doch die Frauenbewegung lange Jahre darauf hingewiesen, dass Gewalt im privaten Nahraum kein Kavaliersdelikt ist. Und doch weisen die öffentlichen Debatten um muslimische Körperverhüllung und um sogenannte kulturelle Gewalt offensichtlich postkoloniale Denkmuster auf. Diese postkoloniale Perspektivierung sozialer Verhältnisse ist zwar insbesondere in rechtspopulistischen Diskursen augenfällig – allerdings nicht nur, denn das koloniale Denken besitzt eine lange Tradition in europäischen Gesellschaften und ist daher schnell und einfach immer wieder ab- und aufrufbar. Nicht nur die politische Rechte wie die FPÖ bedient sich dieses Arguments, sondern auch feministische Akteurinnen verschaffen diesem Argumentationsmuster Legitimität.
Femonationalismus
Die „Veranderung“ und Stigmatisierung ist eine doppelte: Muslimische bzw. migrantische Frauen werden als Opfer gezeichnet, die vor „ihren“ Männern – Ehemännern, Brüdern oder Vätern – gerettet werden müssen. Ihnen wird damit Handlungsfähigkeit abgesprochen, während migrantische Männer in diesem diskursiven Setting als Täter stigmatisiert werden, so als kenne nur deren „Kultur“ Gewalt gegen Frauen. Doch auch der „anderen Frau“ wird misstraut: Sie wird ebenfalls als gefährlich – zumindest als nicht integrationswillig – fantasiert. Beide Argumentationsmuster dienen schließlich insbesondere der politischen Rechten dazu, diese gesellschaftlichen Gruppen als anders auszuschließen: „Der“ Islam passe nicht zu Deutschland oder zu Österreich, daher könne Integration nur auf dem Weg der Assimilation erfolgen.
Zugleich erscheint auch in den Diskussionen um die Patriarchalität von migrantischen Männern das „Eigene“ als besonders gleichstellungsorientiert. Gleichstellung wird zum Selbstverständnis der europäischen Gesellschaft, ja geradezu zum nationalen Merkmal erhoben – dies sollen entsprechende Fragen im Einwanderungstest signalisieren. Diese vermeintliche Selbstverständlichkeit einer gleichstellungsorientierten Position wird auch und besonders von solchen AkteurInnen betont, die ansonsten nicht sehr an Gleichstellung interessiert sind: Das berühmt-berüchtigte Wahlplakat der FPÖ forderte „Freie Frauen statt Kopftuchzwang“. Die britische Soziologin Sara R. Farris bezeichnete dies als „Femonationalismus“– ein Diskurs der Ausgrenzung jener, die nicht zur nationalen Gemeinschaft gehören sollen, indem man sie als nicht gleichstellungsorientiert bzw. als patriarchal stigmatisiert und zugleich die Konstruktion derjenigen, die zur vermeintlichen Nation dazugehören, als frauenfreundlich. – Kurzum: Frauen und Geschlechterverhältnisse spielen eine zentrale Rolle bei der Identifizierung des „muslimisch Anderen“.
Die Flüchtlingsbewegungen und insbesondere die sexuellen Gewaltübergriffe in der Silvesternacht 2015/16 brachten eine Wendung in diese postkolonialen Deutungsverhältnisse. Migrantische Frauen waren schon seit dem Sommer 2015 kaum noch Thema, auch nicht wenn es um Fragen der Integration von Flüchtlingen geht. Und dies ist nicht deshalb der Fall, weil die Mehrzahl der Flüchtenden Männer wären, vielmehr deutet sich meines Erachtens ein genereller Diskurswandel an: Nun rückt weit deutlicher der muslimische Mann als „der Andere“ ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Das postkoloniale Narrativ der Rettung fand nach den Ereignissen der Silvesternacht in deutlich gewendeter Form mediale Verbreitung: Nicht mehr die „andere Frau“ muss gerettet werden, sondern nun schwingen sich weiße Männer auf, um weiße Frauen vor braunen Männern zu schützen. Die Berichterstattung über die sexuelle Gewalt in Köln sprach von „arabisch oder nordafrikanisch aussehenden Männern“, die deutsche Frauen antanzten, sie sexuell bedrohten und belästigten und dann beraubten. Zwar hat es auch schon in den Jahren zuvor die Veranderung insbesondere junger migrantischer Männer gegeben, doch die Verschiebung hin zu weiblichen „weißen Opfern“ ist eine neue Nuance im postkolonialen „Othering“-Prozess.
Sexuelle Gewalt wird kulturalisiert
Was in Köln und auch in anderen Städten geschah, ist sexuelle Gewalt und als solche zu ahnden. Frauen müssen die Möglichkeit erhalten, sie müssen dazu ermächtigt werden, sich auch mit dem Mittel des Strafrechts gegen solche Art Gewalt zur Wehr zu setzen. Darüber hinaus aber muss die öffentliche Debatte sorgfältig beobachtet und in ihrem ausschließenden Charakter unbedingt kritisiert werden. Doch insbesondere jene AkteurInnen in Österreich, die sich noch im vergangenen Jahr darüber lustig machten, dass Po-Grapschen als sexuelle Belästigung unter Strafe gestellt werden soll, betonen nun die Gefährdung österreichischer Frauen durch migrantische Männer. Diese Argumentation soll mit aller Dringlichkeit deutlich machen, dass Flüchtende, vor allem aber muslimische Männer, nichts in Österreich zu suchen haben. Mit dieser Argumentation kann die Gefahr, die für europäische Gesellschaften von Migration ausgeht, drastisch gezeichnet werden – nun erscheinen nicht mehr nur spezifische Gruppen in Minderheiten- Communities gefährdet, sondern nun soll deutlich werden, dass „unsere“ Gesellschaften durch Immigration gefährdet sind. Indem weiße Frauen als Opfer migrantischer Männer präsentiert werden, soll die Mehrheitsgesellschaft insgesamt als bedroht erscheinen. Die „weiße“ Gesellschaft wird zum Opfer der „braunen“ Männer.
Diese rechte anti-muslimisch-rassistische Debatte korrespondiert, so meine These, mit einer Verunsicherung der Geschlechterverhältnisse in der Mehrheitsgesellschaft – eine Verunsicherung von Männlichkeit durch Frauenbewegung und Gleichstellungspolitik. Der Umgang mit dieser Erosion tradierter Geschlechterverhältnisse und männlicher Selbstverständnisse ist ambivalent: Auf der einen Seite können sich „weiße Männer“ im Anti-Immigrations-Diskurs als Retter „weißer Frauen“ und damit als frauenfreundliche Heroen fantasieren. Auf der anderen Seite wird versucht, dieser Verunsicherung durch eine diskursive Abwertung von Gleichstellungspolitik – diffamiert als „Genderismus“ oder „Genderideologie“ – zu begegnen. Beide Strategien sind aber bestens geeignet, von patriarchaler Gewalt in der österreichischen Mehrheitsgesellschaft abzulenken, sexuelle Gewalt zu kulturalisieren, um sie nicht als ein Element globaler patriarchaler Verhältnisse kritisieren zu müssen, sondern sie allein den „Anderen“ in einer exkludierenden Geste anzulasten.
Unterstützen Sie jetzt unabhängigen Menschenrechtsjournalismus mit einem MO-Magazin-Solidaritäts-Abo