Große Verunsicherung
Die Nachrichten von Vergewaltigungen durch Asylwerber verstören zutiefst. Eine einfache Erklärung dafür gibt es leider nicht. Initiativen wie jene von Shokat Ali Walizadeh, der einen Verein für afghanische Jugendliche gegründet hat, wollen helfen.
Von Alkohol im Spiel, eigenen Gewalterfahrungen, Traumatisierungen, einer unerklärlichen Gefühlskälte oder einer fehlenden Kultur der Gleichberechtigung der Geschlechter gibt es verschiedene Versuche, die Vorfälle zu verstehen. Es sind einzelne Fälle, gewiss, aber die betroffenen Frauen werden die schrecklichen Erfahrungen ihr Leben lang nicht vergessen. So wie jede Frau, die von sexualisierter Gewalt betroffen war. Die Verunsicherung ist nun groß. Kann sich eine Frau, nachdem es dunkel geworden ist, noch angstfrei etwa im Wiener Prater bewegen? Schnell ist man mit Pauschalisierungen zur Stelle, von afghanischen Männern scheint ein besonderes Problem auszugehen, folgt man der Berichterstattung. Ein Land, das von Jahrzehnten unterschiedlicher Kriege heimgesucht wird, die vor allem Warlords und rückwärtsgewandte Gruppierungen wie die Taliban als Gewinner hervorgebracht haben. Sicherlich nicht die Frauen des Landes, sicherlich nicht die Gesellschaft, von der die Hälfte der Menschen nicht lesen und schreiben kann. Wie soll man nun die jungen afghanischen Männer betreuen, wenn sie in Österreich angekommen sind? Wie kann man diese schrecklichen Einzelfälle verhindern, kann man es überhaupt? Und wie kann man zugleich verhindern, dass es eine pauschale Verurteilung von Afghanen als Vergewaltiger gibt?
Pauschalisierungen helfen nicht
In Hollabrunn (NÖ) steht ein junger Afghane unter Verdacht, ein 13-jähriges Mädchen zu sexuellen Handlungen genötigt zu haben. Das Verfahren ist anhängig. Als Reaktion darauf ließ der Bürgermeister die gesamte Einrichtung zur Betreuung minderjähriger Flüchtlinge schließen. 21 Jugendliche, auch aus Syrien und dem Irak, standen daraufhin ohne Betreuung da – ob das ein sinnvoller Schritt ist, ist zu bezweifeln. Die Polizei weist indes darauf hin, dass die Statistiken keine signifikanten Veränderungen bei Anzeigen von Vergewaltigungen aufweisen. Von 602 Vergewaltigungen, die das Bundeskriminalamt für das Jahr 2015 erfasst hat, wurden nach Nationalität 438 Österreicher, 44 Türken, 26 Serben, 22 Afghanen, 21 Bosnier, 18 Rumänen, 12 Deutsche, 7 Iraker, 7 Kosovo-Albaner und 7 Kroaten als Tatverdächtige ausgewiesen. Mit dem Verweis auf Statistiken ist dem Problem aber nicht beizukommen, weder im Fall von sexueller Gewalt durch Österreicher, die zumeist in der Familie und im Bekanntenkreis stattfindet, oder durch Männer anderer Nationalität. Jeder einzelne Fall ist einer zu viel. Wie kann nun die Betreuung junger Männer aussehen, die geflüchtet sind, in Österreich vorerst gesetzlich nicht arbeiten dürfen und mit mangelnden Sprachkenntnissen, Kontakten und möglicherweise Qualifikationen oft nur schwer Fuß fassen können? Shokat Ali Walizadeh ist vor einigen Jahren selbst als minderjähriger Asylwerber aus Afghanistan nach Österreich gekommen. Mittlerweile spricht er ausgezeichnet Deutsch und hat sich bemerkenswert gut in der Gesellschaft zurechtgefunden. Er arbeitet bei einer karitativen Einrichtung als Betreuer von jungen Flüchtlingen und hat selbst eine Initiative gegründet: „Verein afghanische Jugendliche – Neuer Start in Österreich“. Von Fußball über politische Bildung bis zu Gendersensibilisierung reicht das Programm. Nicht immer gehen die öffentlichen Stellen bei der Finanzierung von Projekten mit, bedauert Walizadeh. Der Kurs zu Genderfragen ist ein Pilotprojekt gemeinsam mit VIDC und Poika von der asylkoordination. Weil Geschlechterfragen zu thematisieren in Afghanistan eher einem Tabu gleicht, soll das hier nun nachgeholt werden. Das gelingt nur in einer Atmosphäre des Vertrauens. Viele der Menschen, die hierher kommen, haben anfangs falsche Vorstellungen von Europa, von Österreich. Walizadeh will helfen, sie zurechtzurücken. Im Kontakt mit dem Unbekannten ortet er Angst auf beiden Seiten, nicht nur in der Mehrheitsgesellschaft gibt es Skepsis und Unsicherheit. Aufeinander zugehen, das sei kein leeres Schlagwort, sondern essenziell, ist Walizadeh überzeugt. Zu den Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen fällt es dem jungen Mann mit dem ernsthaften Tonfall schwer, etwas zu sagen. Das seien schreckliche Taten, meint er. Er betont, dass diese Verbrechen nur von einem winzigen Bruchteil der zehntausenden Menschen afghanischer Herkunft ausgehen, die inzwischen in Österreich leben. Mit seiner Arbeit versucht er sein Möglichstes, das Zusammenleben zum Positiven zu gestalten. red
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