Helden statt Patriarchen
Zuerst Köln, dann Praterstern. Sexuelle Gewalt ist eines der heikelsten Themen, die derzeit diskutiert werden. Die Flüchtlingsdebatte droht unter diesen Vorzeichen zu kippen. Schon seit 2007 arbeiten Berliner Jugendarbeiter vom Projekt HEROES mit Jugendlichen aus patriarchalen Strukturen. Ein Gespräch mit dem Theaterpädagogen Yilmaz Atmaca über Jugendarbeit, Sexismus, Rassismus. Interview: Ali Cem, Fotos: Karin Wasner
Die Heroes bieten Workshops an und besuchen auch Schulen. Was passiert dort?
HEROES ist ein Projekt gegen Unterdrückung im Namen der Ehre. Wir arbeiten mit Jugendlichen, die aus patriarchalen Strukturen kommen, wo der Begriff Ehre eine sehr große Rolle spielt. Wir trainieren diese jungen Männer so, dass sie später selbst Workshops gestalten und leiten können. Sie sind dann unsere Heroes und gehen an Schulen, um mit Schülerinnen und Schülern über Themen wie Ehre, Geschlechtergerechtigkeit, Emanzipation und Sexismus zu diskutieren. Dabei arbeiten wir viel mit Rollenspielen. Unsere Trainer und die Workshopteilnehmer spielen Situationen aus dem Alltag und dem Familienleben nach. Unser Ziel ist es, mit vielen Heroes so viele Jugendliche wie möglich zu erreichen.
Wie viele Heroes gibt es zurzeit?
Wir sind jetzt seit neun Jahren aktiv, und wir haben 36 Trainer ausgebildet, mit denen wir über tausend Workshops abgehalten haben.
Was war eure Motivation für dieses Projekt?
Uns geht es um Gleichberechtigung, aber das funktioniert nicht, ohne die Männer zu erreichen. Insbesondere in patriarchalen Strukturen müssen wir den Männern mitteilen, dass auch sie unterdrückt werden. Ihnen wird eine bestimmte Rolle zugewiesen und wenn sie die Erwartungen nicht erfüllen, wird ihre Männlichkeit in Frage gestellt. Deswegen müssen wir mit diesen Männern zusammenarbeiten. Und nicht alle sind Unterdrücker. Wir müssen sie erreichen und ihnen zeigen, dass sie nicht allein sind, wenn sie diese Ehrendefinition in Frage stellen, wenn sie sich emanzipieren wollen. Damit lernen natürlich auch die Frauen, dass nicht alle diese Männer gleich sind.
Sie sind Schauspieler – wie sind Sie zum Projekt gekommen?
Ich war der erste Gruppenleiter bei HEROES. Ich habe in der Türkei meine Schauspielausbildung gemacht und habe dort viel mit Jugendlichen gearbeitet. Ich kenne diese Strukturen und Unterdrückungsmethoden. Als Schauspieler habe ich in vielen politischen Stücken gespielt, in denen wir dieses System in Frage gestellt haben. In Deutschland habe ich dann Theaterpädagogik studiert, weil ich durch meine persönlichen Erfahrungen wusste, was ich in meinem Leben machen möchte und welche Themen mir wichtig sind.
Sind Jugendliche mit Migrationshintergrund eure einzige Zielgruppe?
Ich würde nicht sagen, dass der Migrationshintergrund der bestimmende Faktor ist. Es geht mehr um die Frage, ob sie aus einer Gesellschaft kommen, in der die Ehre Geschlechterrollen vorschreibt und als Machtinstrument verwendet wird.
Sexismus und Geschlechtergerechtigkeit sind aber nicht nur Phänomene, die in türkischen, kurdischen oder albanischen Gesellschaften vorkommen. Was macht ihr gegen den Sexismus in Deutschland? Wird er nicht verschleiert, in dem wir den Sexismus immer wieder bei anderen suchen?
Also wenn wir merken, dass jemand Kulturen hierarchisiert und so seine eigene Gesellschaft aufwertet, stoppen wir das sofort. Wenn Horst Seehofer sich plötzlich für Frauenrechte und Gleichberechtigung stark macht, erinnern wir ihn daran, dass er sich einst dafür eingesetzt hat, dass Vergewaltigung in der Ehe nicht als solche geahndet werden darf. Sexismus gibt es in jeder Gesellschaft, und wir führen keinen Kampf gegen bestimmte Kulturen, sondern schauen uns an, welche Menschen aufgrund ihres Geschlechts nicht die Möglichkeit haben, ihr Leben selbst zu gestalten.
Bemerken Sie in den Workshops auch bei Schülern aus der Mehrheitsgesellschaft Vorstellungen, die komplett überholt sind, die man bei ihnen nicht vermuten würde, weil sie eben keinen „bestimmten“ Hintergrund haben?
Das gibt es auch. Wenn die Jungs gemeinsam die Schule besuchen, wenn sie gemeinsam Zeit verbringen und Fußball spielen, beeinflussen sie sich ja auch gegenseitig. Die lernen voneinander und übernehmen auch Vorstellungen. Es gibt aber viele, die nicht verstehen, wieso jemand seiner Schwester wehtun würde, weil sie einen Freund hat oder eine Frau nicht heiraten will, weil sie vorher mit anderen Männern zusammen war.
Begriffe wie Ehre, Tradition und Kultur kommen ja in eurer Arbeit sehr häufig vor. Kulturalisiert ihr nicht damit Probleme, die in verschiedenen Formen eigentlich überall auftauchen?
In der Arbeit mit den Jugendlichen reden wir auf keinen Fall von westlicher oder orientalischer oder islamischer Kultur.
Aber moderne Phänomene wie Slutshaming im Internet oder sogenannte „Revenge Porns“ thematisiert ihr nicht?
Das ist ja ekelhaft. Mit diesen Dingen waren wir bisher nicht häufig konfrontiert. Wir hatten nur einen Fall, wo ein Junge seine Exfreundin gefilmt hat und das ins Netz gestellt hat. Darüber haben wir auch debattiert, aber in den Workshops kommt sowas nicht vor.
Wie schaut ihr, dass ihr aktuell bleibt? Das Projekt gibt es seit 2007, was hat sich verändert?
Es war ein Prozess, besonders in den ersten zwei Gruppen war es sehr schwer für uns als Gruppenleiter, und wir haben viel über unsere eigenen Grenzen gelernt. Was sich in den letzten Jahren geändert hat, ist, dass die Jungs viel stärker religiös argumentieren. Wir müssen schauen, wie wir diese Argumente aufnehmen und wie wir dementsprechend die Workshops gestalten
Ist diese neue religiös geprägte Argumentation für euch einfach nur alter Wein in neuen Schläuchen, oder gibt es da substanzielle Änderungen?
Zum Teil bedeutet das für uns, dass sie uns alte Probleme auf neue Weise kommunizieren. Es gibt aber auch neue Entwicklungen. Früher war das zum Beispiel nicht so schlimm, wenn ein Mann vor der Ehe Sex hatte. Jetzt sagen viele, dass nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer jungfräulich bleiben müssen. Da reden wir dann darüber, was passiert, wenn man Gefühle nicht zulässt und ständig unterdrücken muss.
Während die Jungs bei euch die Workshops besuchen, verändern sie sich ja stark, aber wie gehen sie damit um, wenn sie neue Werte und Vorstellungen akzeptieren, während die Familie und der Freundeskreis gleich bleiben?
Unsere Jungs haben ihren Familien bisher nicht den Krieg erklärt, aber sie werden bewusster, sie sagen Nein, setzen ihre Grenzen und akzeptieren nicht alles, was ihnen vermittelt wird. Hin und wieder gibt es natürlich Konflikte mit den Familien, aber bisher haben wir alles gut bewältigt.
Die Ereignisse von Köln haben ja in vielen Köpfen das Bild vom hypersexuellen, gewaltbereiten orientalischen Mann zementiert. Auch Medien und Politik schüren diese Ängste. Wie beeinflussen diese medialen Bilder eure Arbeit? Wie arbeitet ihr, ohne weit verbreitete rassistische Klischees zu verstärken? Die Jugendlichen sind ja selber mit diesen Stereotypen konfrontiert.
Köln zeigt uns ja, wie sich das ausdrückt, wenn Menschen ihre Triebe und Gefühle unterdrücken. Wir waren schon vor Köln da und haben das angesprochen. Wir müssen auch mit diesen Männern diskutieren und herausfinden, wo das herkommt. Aber Rassismus, da machen wir nicht mit.
Wenn der Begriff „Ehre“ verwendet wird, passiert das ja in den Medien häufig im Zusammenhang mit dem Ehrenmord. Auf der anderen Seite gibt es den Eifersuchtsmord oder das Familiendrama, und oft entscheidet der kulturelle Hintergrund, ob nun die Ehre das Motiv war oder psychische und persönliche Probleme.
Familiendrama passiert in jeder Gesellschaft – deutsch, österreichisch, türkisch oder arabisch. Das ist egal. Um sagen zu können, dass ein Mord ein Ehrenmord ist, müssen wir schauen, ob der Mörder aus eigenen Motiven gehandelt hat oder ob ihn die Familie dazu gezwungen hat, ob er unterdrückt und zum Mord gedrängt wurde. Nicht jeder Mord, für den ein Mensch mit Migrationshintergrund verantwortlich ist, ist gleich ein Ehrenmord.
Bei HEROES werden Jugendliche selber zu Trainern ausgebildet und reden dann an Schulen über Ehre, Emanzipation und Geschlechtergerechtigkeit. Das ist nicht nur Prävention gegen sexuelle Gewalt, sondern ein Ausweg für Jugendliche, die selbst in patriarchalen Strukturen gefangen sind, sagt Yilmaz Atmaca. Er ist Schauspieler, Theaterpädagoge und einer der ersten Gruppenleiter bei HEROES.
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