Haben gesellschaftlichen Auftrag
Sparda-Bank-Chef Helmut Lind steht der größten Genossenschaftsbank Deutschlands vor. Seit einigen Jahren geht die Münchner Bank mit der Gemeinwohl-Ökonomie neue Wege. Helmut Lind im Gespräch über seine Ängste als Banker, verschärfte Krisen und dass in 20 Jahren rund 40 Prozent aller Arbeitsplätze weggefallen sein werden. Interview: Eva Bachinger
Warum haben Sie sich als einer der ersten Unternehmer und noch dazu als Banker für die Unterstützung der Gemweinwohl-Ökonomie entschieden?
Bereits 2002 hat mein Vorgänger das Thema Nachhaltigkeit in die Bank getragen. Ich habe mich auch schon jahrelang gefragt, wohin entwickelt sich alles? Bei der Suche nach Alternativen hat mich lange nichts überzeugt. Ich wollte keine Hochglanzbroschüre, wo Nachhaltigkeit draufsteht, die aber nicht auditiert ist, die keinen Bilanzcharakter hat. Das ist wie greenwashing. Ich kam über das Buch „Neue Werte für die Wirtschaft“ von Christian Felber und einen Vortrag bei uns in Kontakt. Wir haben uns entschieden gemeinsam eine Gemeinwohlbilanz zu erstellen. Anfangs war das noch ganz rudimentär, doch ich spürte: das ist es. Da war eine innere Klarheit.
Die Banken haben kein gutes Image. Sollte die Branche wieder mehr zu ihrer Kernkompetenz zurückkehren?
Ganz klar ja. Die Sparkassen und Genossenschaftsbanken haben im Kern einen gesellschaftlichen Auftrag. Die Sparkassen kommen von der Herkunft her aus den Kommunen, die Genossenschaften wurden mit der sozialen Absicht gegründet, Hilfe zur Selbsthilfe zu ermöglichen. Es stand nie die Gewinnmaximierung im Mittelpunkt. Dennoch haben sich auch diese Banken durch die turbokapitalistischen Entwicklungen ab Mitte der 1990er Jahre zu profitorientierten Banken entwickelt. Die Kleinteiligkeit und Regionalität sind verloren gegangen. Das ist ja in Österreich noch extremer, denn die Banken hier sind Kolosse geworden. Wir haben das Fundament aus den Augen verloren. Wir haben vergessen, wer wir sind, was unsere eigentliche Absicht ist. Dadurch sind Modelle entstanden, die sich noch selbst am Leben erhalten, aber nicht mehr genährt werden von der sozialen Absicht.
Wie haben Ihre Banker-Kollegen auf Ihr Engagement reagiert?
Viele haben gesagt, was soll das Ganze, der spinnt, schickt ihn auf ein Ökonomiestudium. Was in den sozialen Medien teilweise über mich geschrieben wurde, war vernichtend. Ich habe das nicht mehr gelesen, aber meine Vorstandskollegen haben mir das vorgelesen und wurden ganz nervös. Das hat sich geändert. Es ist zwar immer noch so, dass sich viele schwertun, aber vor fünf Jahren war in unserer Sparda-Gruppe Deutschland keiner bereit das Thema Nachhaltigkeit in den Mund zu nehmen oder darüber nachzudenken. Mittlerweile hat sich die Gruppe für ein Nachhaltigkeitsmodell entschieden. Was wir in München machen, ist ihnen noch zu viel, aber den ersten Schritt haben sie gesetzt. Unsere Bank ist 86 Jahre alt, wir kommen auch aus dem Mainstream, aber wir haben uns in die Transformation begeben. Die GWÖ ist Teil unserer strategischen Planung. Das ist zentral und läuft nicht nebenbei.
Viele Ökonomen und Arbeitgeber-Vertreter kritisieren die Gemeinwohl-Ökonomie scharf. Die Industriellenvereinigung sagt regelmäßig, die GWÖ sei naiv, kuschelig, biedermeierlich und würde bei Umsetzung politisches Chaos auslösen und Europa in Armut stürzen.
Wenn du den Mainstream verlässt, das alte Modell ablegst, dann wirst du erstmal ausgelacht, in die Ecke gestellt, kritisiert. Es ist auch die Angst, dass das, was man kennt, stirbt. Wenn du für das Neue keinen Plan hast und auch keine Bereitschaft hast, dich damit zu beschäftigen, dann kommt es zur Ablehnung. Die Bezeichnung biedermeierlich ist aber besonders absurd. Denn wie war die Biedermeierzeit? Von Freiheit geprägt? Was hier entsteht, ist das Gegenteil davon, ist Freiheit, Transparenz und Mitgestaltung. Nicht alles muss so bleiben wie es ist. Irgendwann bekommt das Neue so viel Schwung, das es nicht mehr aufzuhalten ist. Ich sehe die GWÖ als die nächste Stufe, als Ergänzung zur sozialen Marktwirtschaft. Denn es ist ein marktwirtschaftliches Modell, aber es geht darüber hinaus. Wir wissen: Wo das Kapital ist, ist Macht, das Kapital bestimmt alles. Damit sind wir weit weg von unseren verfassungsrechtlichen, ethischen Prinzipien. Ich rede nicht davon, dass jemand sein Auto nicht mehr haben darf, wir reden nicht von Kommunismus, sondern davon, dass die Ungleichheit sich noch mehr vertiefen wird, wenn wir so weitermachen.
Das Wirtschaftssystem soll also nicht auf Wachstum und Profit ausgerichtet sein?
Das ist mir zu einseitig gesehen. Es kann auch Unternehmen geben, die noch weiter wachsen, weil sie eine Größe oder ein Geschäftsfeld haben, wo Wachstum möglich ist. Die Frage ist, ob Profit alles ist, ob ein Unternehmen davon in erster Linie gesteuert wird. Ich denke, nicht alles darf der Maximierung des Gewinns folgen. Das ist einseitig und unethisch. Es stärkt die Großen und die Mächtigen und bringt immer mehr Spaltung in Arm und Reich.
Die GWÖ will auch Ressourcenschonung und Naturschutz erreichen. Wie soll das gehen, wenn alle nach wie vor wachsen wollen?
Wir werden in den nächsten Jahren mehr Krisen haben als wir je hatten. Das ist die schlechte Nachricht. Parallel dazu werden wir aber auch mehr Erfindungen und evolutionäre Entwicklungen haben als wir je hatten. Mich überzeugt hier Jeremy Rifkin. Er geht davon aus, dass die Digitalisierung und Automatisierung dazu führen wird, dass in den nächsten 20 Jahren 40 Prozent aller Arbeitsplätze wegfallen. 2050 werden wir noch fünf Prozent der Arbeitsplätze im klassischen kapitalistischen System haben, die anderen 95 Prozent werden in einer sozialen Wirtschaft sein. Das finde ich spannend. Der Kapitalismus frisst sich selbst auf, denn wir zerstören den Boden, von dem wir langfristig leben für kurzfristige Erträge. Den Graben, den wir gezogen haben, zwischen Menschlichkeit und Ökonomie, müssen wir wieder zuschütten. Wir haben eine entmenschlichte, entseelte Wirtschaft. In der GWÖ geht es um Ethik, um Verbundenheit mit den Anderen und der Natur. Die Unternehmen müssen in Zukunft einen gesellschaftlichen Nutzen bieten, wenn sie das nicht bieten, werden sie sterben. Wenn man kooperiert, gewinnt jeder.
Der Mensch will aber auch den Wettbewerb.
Die besseren Ergebnisse entstehen aber aus Kooperationsmodellen. Die Frage ist hier, Wettbewerb und Egoismus als Nutzen für den Einzelnen oder für alle? Im Sinne des Leistungssport für den Einzelnen. Nur einer kann gewinnen, aber in der Gesellschaft brauchen wir Kooperation, damit alle gewinnen. Der Einzelne hat ja noch immer genug Platz um sein Potential entfalten zu können. Der Einzelne, seine Selbstbestimmung, seine Fähigkeiten sollen ja einerseits gefördert werden, und andererseits auch der Wunsch nach Gemeinschaft, der Einzelne als Teil eines größeren Ganzen. Im Gegensatz zu mir sehen hier viele Wirtschaftsleute nur einen Widerspruch, weil sie aus einer technokratischen, egoistischen Welt, aus dem alten Denken kommen. Im Grunde reden wir von unterschiedlichen Weltbildern. Wenn ich mit der Landkarte von Berlin hier in Wien unterwegs bin, habe ich ein Problem, wenn sich die Welt in Richtung Wien verändert hat. Und im Kern geht es um Bewusstsein. Statt Kontrolle Vertrauen, zutrauen, die anderen wachsen lassen und sich freuen, wenn wir uns gemeinsam entwickeln. Das war auch bei mir ein Prozess, loslassen, geben, teilen.
Hatten Sie nicht Angst, dass Sie von Konkurrenten abserviert werden?
Doch. Ich hatte Angst, dass ich das im Unternehmen nicht überlebe. Dieser Schwebezustand ging über drei Jahre. Wenn das schiefgeht, wenn das Gemeinwohl-Projekt in die Hose geht, dann geht das auf mein Konto. Es gab Phasen, wo es schwierig und kritisch wurde, wo man schnell merkt, da steht keiner neben dir, hinter dir, vor dir. Da bist du ganz einsam. Das ist auch ein sehr menschlicher, persönlicher Grund, warum viele das nicht tun wollen. Manager haben Angst zu scheitern, zu versagen, einen Fehler zu machen, sie haben Angst um ihren Job. Ich versteh das, denn es ist in unserer Gesellschaft sehr schwierig Fehler zu machen.
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