Vom Unbehagen beim Zurückschrauben
ANDERE ÜBER ...Ich empfinde den Verzicht der Mütter auf Distanz zum Privaten grundsätzlich als verdächtig und als Verrat an meiner Oma. Kommentar: Hosea Ratschiller
Ich bin von Beruf Komiker. Dieser Kommentar muss trotzdem ernsthaft ausfallen, weil SOS Mitmensch zahlt kein Honorar. Sie werden also im Folgenden Zeuginnen und Zeugen eines Freizeitvergnügens oder einer Publicity-Aktion. Entscheiden Sie selbst. Heldentat wird es jedenfalls keine. Zum Citoyen reicht es bei mir hinten und vorne nicht. Das Einkommen ist zu bescheiden, die Bildung äußerst lückenhaft, die Moral durchwachsen. Ich habe meine Seele nur noch nicht an den Teufel verkauft, weil ich ihn nirgends finden kann. Und meine Seele auch nicht. Meine einzige wirkliche Überzeugung ist der Feminismus. Ich wurde dazu erzogen. Wenn meine Oma von der Liebe zu meinem Opa erzählte, haben meine Eltern mir danach das Stockholm-Syndrom erklärt. Das hat seine Wirkung nicht verfehlt. Mich überkommt tiefes Unbehagen, wenn Frauen berichten, wie sie seit der Geburt ihrer Kinder beruflich zurückschrauben, während die Kindsväter dann erst so richtig durchstarten. Es ist ein diffuses körperliches, also wahrscheinlich eben anerzogenes Unbehagen. Ich habe sogar dagegen pubertiert. Mit 17 habe ich im Geschichte-Unterricht stundenlang über kubanische und sonstige Revolutionen doziert und ostentativ gegähnt, als eine Kollegin über Dienstbotinnen im Wien des 19. Jahrhundert referierte. Die Kollegin ist dann Wissenschaftlerin geworden und ich bin ein Kasperl geblieben. Unlängst ist sie Mutter geworden und schraubt jetzt zurück. Ihr Mann schreibt Diss. Da ist es wieder, mein Unbehagen. Mich interessiert nicht einmal, was im Einzelnen die Motive ihres einseitigen Zurückschraubens sind. Die Behauptung, dass Frauen sich das zum Teil selber aussuchen, verfängt bei mir nicht. Ich empfinde den Verzicht der Mütter auf Distanz zum Privaten grundsätzlich als verdächtig und als Verrat an meiner Oma. Mir ist klar, dass meine Vorurteile jede Fairness und Noblesse vermissen lassen. Wie gesagt, zum moralischen Vorbild reicht es nicht. Und ich musste mir nicht nur einmal sagen lassen, meine feministischen Ansichten seien antiquiert. Beziehungen nach dem Modell Stockholm-Syndrom seien ja längst kein heteronormatives Monopol mehr. Unsere Vorväter und Vormütter hätten hart dafür gekämpft, dass sich auch Homosexuelle straffrei gegenseitig zum Verschwinden bringen dürfen. Ich respektiere diesen Kampf, das ändert aber nichts an meiner dogmatischen Einstellung: Wer ohne existenzielle Bedrängung Vollzeiterwerbsarbeit nachgeht, während der Partner oder die Partnerin daheim die Kinder betreut, dem sollte die Erziehungsberechtigung entzogen werden. Ich glaube, der Kollege Gunkl hat einmal gesagt „Zum Schönsten, was zwischen Menschen entstehen kann, gehört Distanz“. Noch näher kommt man der Wahrheit nur, wenn man die Hand über eine Kerzenflamme hält. Wer dich gehen lässt, schafft ein Zuhause. Eine Tür muss aber in beide Seiten aufgehen. Sonst ist es eine Falle. Und die schöne, erleichternde, ermöglichende Distanz kann wahrscheinlich nur zwischen Menschen entstehen, die frei sind, materiell abgesichert und gleichberechtigt. Die müssen ihre Geiselnehmer nicht idealisieren, werden kräftig und friedfertig. Also, wer auch immer das zu entscheiden hat: Gebt uns Reisefreiheit, Menschenrechte und ein bedingungsloses Grundeinkommen. Dann werden wir genug Zeit und Ruhe haben, einander und die Zeit, in der wir leben, besser kennenzulernen. Wir werden dann auch bessere Kommentare schreiben. Und noch viel bessere Kabarettprogramme. In denen werden keine Rassismen und Sexismen reproduziert werden, nur damit es so normal wie nötig zugeht. Und niemand wird sich mehr wundern müssen, dass die eigenen Fans rechtsradikale Parteien wählen. Ich freue mich schon auf diese Zeit. Bis es so weit ist, hier zum Abschluss noch ein kleiner Witz: Wie heißt der deutsche Sexminister? Hans-Dietrich Gender.
ZUR PERSON | Hosea Ratschiller
Hosea Ratschiller, 1981 in Klagenfurt geboren, arbeitet als Moderator, Kabarettist, Schauspieler, Satiriker. Er gestaltet Programme auf FM4 und Ö1. Sein aktuelles Kabarettprogramm heißt „Doppelleben“.
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