Spiel mit dem Feuer
Stimmen, die einen linken Populismus fordern, mehren sich. Kann das wirklich gut gehen? Text: Bernadette Goldberger
Jüngste Zuwächse rechtspopulistischer Parteien bei Wahlen in Europa mehrten in Parteien links der Mitte die Stimmen, die für eine Änderung der politischen Strategie plädieren. Der Journalist und Autor Robert Misik fragt in seinem Blog, „was so schlimm daran sein soll, wenn die Linke populistisch agiert“, schließlich schaffe ein linker Populismus „ein ,Wir‘ gegenüber einem ,Sie‘ – wobei das ,Wir‘ das normale einfache Volk, die Bürger sind, und das ,Sie‘ die korrupten, gierigen Eliten.“ Für Deutschland fordert Spiegel-Kolumnist Jakob Augstein: „Setzt dem rechten Populismus endlich einen linken entgegen!“ und meint damit den „Mut, in Gegensätzen zu denken“ und das Gefühl in der Politik zurückzuerobern, mit dem die europäischen Rechtsparteien einen Erfolg nach dem anderen einstreifen. Das klingt erst einmal einleuchtend. Wer mit dem Feuer spielt, verbrennt sich aber leicht. Die Linke sollte lieber zweimal überlegen, bevor sie auf den populistischen Zug aufspringt, denn sie untergräbt damit ihre eigenen Ziele. Die Populismus-affine Linke bezieht sich auf den 2014 verstorbenen postmarxistischen Theoretiker Ernesto Laclau. Seine Frau, die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe, tourt mittlerweile durch Europa und macht Werbung für Laclaus Populismustheorie als strategisches Werkzeug für die Linke. Beispiele, wo dieser Transfer von der Theorie in die Praxis funktioniert hat, gibt es bereits. In Spanien hat es die 2014 gegründete linkspopulistische Podemos auf Anhieb zur drittstärksten Partei geschafft. Ihre führenden Köpfe nennen Laclaus Ideen als Inspirationsquelle. In Griechenland stellt Syriza sogar den Ministerpräsidenten. In ihren Reihen finden sich mehrere Essex-AbsolventInnen.
„Ein Volk“ mit links
Das Geheimnis des Erfolgs hat Chantal Mouffe gemeinsam mit Podemos-Wahlkampfleiter Íñigo Errejón mit ihrem 2015 veröffentlichten Buch treffend betitelt: „Construir pueblo“, frei übersetzt heißt das „ein Volk herstellen“. Was Populismus demnach ausmacht, ist mehr, als die Infragestellung der etablierten Politik. Es geht darum, eine Identität zu konstruieren, ein neues Wir zu schaffen, das nicht nur eine lose Allianz sozialer Bewegungen und unzufriedener BürgerInnen ist, sondern ein einheitliches kollektives Subjekt, eben ein „Volk“. Dass die Rechtspopulisten das schon gemacht haben, zeigt sich an ihrer Sprache. So posaunt Heinz-Christian Strache auf Facebook, er müsse nicht so sein, wie „die anderen Parteien“ es gerne hätten, sondern wie „sein Volk“ es von ihm verlange. Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der AfD im Thüringer Landtag, beruft sich gar auf ein unhintergehbares „Volksempfinden“, von dem sich Merkel mit ihrer Flüchtlingspolitik entfernt habe. An den Beispielen kann gut nachvollzogen werden, wie Populismus seine Anhängerschaft mobilisiert: Es wird ein Teil der Gesellschaft identifiziert, der den gegenwärtigen unhaltbaren Zustand verschuldet hat und daher nicht Teil des „Volkes“ sein kann. Der andere Teil ist auf der „guten Seite“. So entsteht eine gemeinsame Identität all derer, die übergangen und nicht gehört werden. Es ist dieses „Wir“, das „wahre Volk“ des Rechtspopulismus, das harmonisch zusammenleben könnte, wenn „die anderen“ nicht wären. Nicht umsonst posiert Strache bei besagtem Posting vor der Österreichflagge. Das „wahre Volk“ ist zugleich das ganze Volk. Eine spannungsfreie Gesellschaft gibt es natürlich nicht. Auch die FPÖ- und AfD-WählerInnen haben heterogene Interessen und würden in Konflikt geraten, selbst wenn sie allein im Land wären. Als politisches Erlösungsversprechen wirkt die fantasierte Einheit aber mobilisierend. Folgt man nun Ernesto Laclau, müsste sich das ganze Spiel auch von links betreiben lassen. Stellen wir uns also die spiegelverkehrte Konstellation vor: die „Feinde“ wären dann die Börsenspekulanten oder die politischen Machtcliquen, gegen die Podemos-Chef Pablo Iglesias in Spanien als „die Kaste“ wettert. Im Kontrast dazu nimmt ein „authentischer Kern“ des Volkes Gestalt an, der solidarisch und umverteilungswillig ist. Klingt doch, als wären das die „richtigen“ Feindbilder, als würde diese Spaltung progressive Politik ermöglichen. Tatsächlich schweißt die Zuspitzung das Protestlager zusammen, verleiht ein Gefühl gemeinsamer Identität und macht es handlungsfähig. Nur für welches Ziel eigentlich? Spätestens wenn es eine linkspopulistische Partei in die Regierung schafft, zeigen sich die Widersprüche im homogenen Kollektiv. Was war jetzt eigentlich noch mal genau links? Die Steigerung der Sozialausgaben oder das bedingungslose Grundeinkommen? Der sozial-ökologische Umbau oder die Neuauflage keynesianischer Wirtschaftspolitik? Interne Differenzen sind in einem populistischen Projekt aber nicht vorgesehen. Wenn PopulistInnen untereinander zu debattieren beginnen, wenn sie ihre interne Pluralität nach außen kehren, dann verspielen sie alles, was sie mit ihrer populistischen Rhetorik zuvor gewonnen haben. „Mit ganzer Kraft gegen die anderen“ funktioniert nur, solange das „Wir“ einheitlich bleibt. Deshalb setzte etwa Podemos-Vorsitzender Iglesias nach internen Querelen Organisationssekretär Sergio Pascual kurzerhand wegen „parteischädigender“ Amtsführung ab und schrieb in einem Brief an die AnhängerInnen, die oligarchischen Sektoren versuchten, „die Einheit und die Schönheit unseres politischen Projekts“ mit der Behauptung zu schwächen, es gäbe innerhalb der Partei unterschiedliche Richtungen. Wenn das politische Panorama in zwei homogen vorgestellte Gruppen gespalten wird, wird es aber schwierig, Zugehörigkeit zum „popularen Lager“ zu postulieren und gleichzeitig Kritik an diesem zu üben. Identität und Pluralität sind letztlich unvereinbar.
Libidinöse Einheit
Ernesto Laclau selbst erklärt die Anziehungskraft des Populismus psychoanalytisch. Im frühkindlichen Erleben wird die Mutter nicht als eigenständiges Individuum wahrgenommen, die Beziehung zu ihr ist eine symbiotische, widerspruchsfreie. Auf den im Subjekt angelegten Wunsch nach Rückkehr in diesen vollkommenen Zustand antworte populistische Politik. Sie bietet die Illusion eines ungeteilten Gemeinschaftssubjekts, das als Ersatz für die verlorene „Vollständigkeit“ libidinös besetzt werden kann. Erklärt man linke Politik zur Projektionsfläche, die das Begehren nach vollkommener Identität zu bedienen habe, reduziert man sie aber auf eine psychologische Funktion. Dann büßt sie ihren emanzipatorischen Anspruch ein. Schließlich meint Emanzipation nicht nur Befreiung von äußeren Unterdrückungsverhältnissen, sondern in einem aufklärerischen Sinn auch Ermächtigung gegenüber den eigenen regressiven Impulsen. Wird hingegen kein einheitliches Wir geschaffen, bleibt die Identität der linken Bewegung unsicher, ihre Politik muss ständig ausdiskutiert werden. Zu diskutieren gäbe es aber ohnehin genug, was durch die populistische Personalisierung von Herrschaftsverhältnissen in den Hintergrund gerät. Selbst wenn ein „Oligarch“ wie der Red Bull-Milliardär Dietrich Mateschitz sein Geld an alle verschenken und verschwinden würde, käme schließlich bald der nächste nach. Soziale Ungleichheit mit der Bedrohung des guten Volkes durch mächtige Personengruppen zu erklären, lenkt da bloß von strukturellen Dynamiken ab. Hier rächt sich die implizite Rückwärtsgewandtheit der populistischen Rhetorik. Wenn Populisten wie der griechische Premier Alexis Tsipras ständig die „Würde“ des Volkes als Ziel ihres politischen Handelns nennen, ist das eine Zukunftsvision, der die Vorstellung von etwas Verlorengegangenem anhaftet: das griechische Volk, als es noch ein „stolzes“ Volk war. Die politische Zielsetzung wird an eine Art „Goldenes Zeitalter“ angekoppelt. Der mythische Rückbezug liefert politische Legitimität. Gleichzeitig wird Populismus damit auch irgendwie ein restauratives Projekt mit der Aufgabe, die gute alte Zeit wiederherzustellen. Damit verbaut sich die Linke den Sprung in eine wirklich neue Logik. Gerade die braucht es aber in gesellschaftlichen Umbruchzeiten, in denen ein emanzipatorischer Zukunftsentwurf gefragt ist. Neuer Wein in alten Schläuchen ist da nicht die Lösung.
Unterstützen Sie jetzt unabhängigen Menschenrechtsjournalismus mit einem MO-Magazin-Solidaritäts-Abo