In die Irre geführt
In Oberösterreich hat die schwarzblaue Landesregierung die Mindestsicherung für Asylberechtigte brutal auf 560 Euro gekürzt. Auf die Frage, wie die Menschen davon existieren sollen, verwiesen Vizekanzler Reinhold Mitterlehner und die ÖVP Landespartei kühl auf Studierende. Auch diese würden ohne große Probleme mit wenig Geld auskommen. Wir haben recherchiert, was an dieser Behauptung dran ist. Text: Alexander Pollak
Auf die Frage, wie betroffene Asyl und Schutzberechtigte von den 560 Euro leben sollen, auf die die Mindestsicherung in Oberösterreich radikal gekürzt wurde, antworten sowohl Vizekanzler Mitterlehner als auch die ÖVP-OÖ mit dem Verweis auf Studierende. Diese würden ohne große Probleme mit wenig Geld auskommen, so die Behauptung. Was ist an dieser Behauptung dran? Hier der Faktencheck auf Basis des von Vizekanzler und Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner selbst kürzlich herausgegebenen Berichts zur sozialen Lage von Studierenden:
- während die Mindestsicherung für Asyl und Schutzberechtigte in Oberösterreich auf 560 Euro heruntergekürzt wurde und der reguläre Mindestsicherungssatz 914 Euro beträgt, betragen die durchschnittlichen monatlichen Ausgaben von Studierenden 928 Euro im Monat - zu berücksichtigen sind hier auf der einen Seite zusätzliche Kosten für Studierende, wie etwa Studiengebühren, und auf der anderen Seite günstigere Wohnmöglichkeiten für Studierende, etwa bei den Eltern oder im Studierendenheim.
- die obige Grafik zeigt, dass auch bei sehr jungen (unter 21-jährigen) Studierenden, die relativ oft bei Eltern oder in Studierendenwohnheimen wohnen und daher vergleichsweise weniger fürs Wohnen ausgeben müssen, die durchschnittlichen monatlichen Ausgaben zwischen 600 und 700 Euro betragen.
- 1.130 Euro im Monat beträgt das durchschnittliche Gesamtbudget, das einer/ einem österreichischen Studierenden zur Verfügung steht.
- der Verweis von Mitterlehner und der ÖVP-Oberösterreich auf die Angaben auf der Webseite der Uni Linz, wonach ausländische Studierende in Linz mit monatlichen Kosten zwischen 550 und 700 Euro zu rechnen hätten, ist ebenfalls irreführend. Diese Angaben beziehen sich laut Auskunft der Uni Linz ausschließlich auf Studierende, die nur für maximal ein Semester kommen und mit diesem Geld lediglich die Kosten für Studierendenwohnheim, Verpflegung und kleinere Alltagsausgaben bewältigen müssen, aber keine Einrichtungsgegenstände, Kleidung oder Geräte bezahlen oder sich eine Wohnung bzw. ein Zimmer am regulären Wohnungsmarkt suchen und eventuell sogar Kaution bezahlen müssen.
- dazu eine weitere wichtige Zahl: aus dem Ausland kommende Studierende über 24 Jahre müssen, um eine Aufenthaltserlaubnis in Österreich zu erhalten, ein monatlich verfügbares Geld von 872,31 Euro nachweisen.
- die durchschnittlichen Wohnkosten für Studierende, die nicht bei ihren Eltern wohnen, betragen in Linz 397 Euro. Selbst Studierende, die in Wohngemeinschaften leben, müssen durchschnittlich 317 Euro im Monat zahlen.
- das alles heißt nicht, dass es Studierende leicht haben - im Gegenteil, viele müssen neben dem Studium arbeiten, um über die Runden zu kommen.
- einem anerkannten Flüchtling, der, wie von Mitterlehner und der ÖVP Oberösterreich vorgeschlagen, aus der bisherigen Wohnung auszieht und in eine Wohngemeinschaft einzieht, blieben im Regelfall also nur etwa 240 Euro im Monat – sprich 8 Euro am Tag – übrig, um für sämtliche über die Miete hinausgehenden Lebenshaltungskosten, wie Essen, Hygieneartikel, Telefonkosten, Mobilitätskosten, Kleidung, Einrichtungsgegenstände, etc. aufzukommen. Von Freizeitaktivitäten gar nicht zu sprechen.
- nicht ohne Grund wurde die Mindestsicherung, also der Mindestbetrag, der gerade noch ein würdevolles Leben ermöglicht in allen Bundesländern nicht mit 560 Euro, sondern, je nach Bundesland, zwischen 828 Euro (Burgenland) und 914 Euro (Oberösterreich) festgelegt. In Tirol und Vorarlberg werden sogar die tatsächlichen Wohnkosten von der Mindestsicherung abgedeckt. der volle Mindestsicherungsbetrag wird ausschließlich an mittellose, arbeitswillige Menschen ausbezahlt - im Regelfall übrigens 12mal im Jahr und nicht, wie etwa eine Pension (die auch sehr niedrig sein kann) 14mal im Jahr.
- In Oberösterreich erhalten Asyl- und Schutzberechtigte, die mittellos und arbeitswillig sind, aber keinen Job haben, durch die Kürzung der Mindestsicherung nun von einem Tag auf den anderen um fast 40 Prozent weniger Unterstützungsleistung. Die Betroffenen werden eiskalt in tiefe existentielle Nöte gestürzt. Und sie werden in zynischer Manier gegen andere Armutsbetroffene und gegen Studierende ausgespielt. SOS Mitmensch hat sich gemeinsam mit vielen anderen gegen diese Politik der sozialen Spaltung und der Erzeugung tiefer Armut eingesetzt. Noch vor der Abstimmung des oberösterreichischen Landtages, wo die Kürzung schlussendlich mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ beschlossen wurde, hat die Menschenrechtsorganisation eine Petition mit mehr als 6.800 Unterschriften an den Landtagspräsidenten überreicht.
Mindestsicherung – Vorgeschichte und Diskussion:
Sie wurde 2010 nach jahrelangen Diskussionen von SPÖ und ÖVP beschlossen: die Mindestsicherung. Ihre Höhe orientierte sich an der Ausgleichszulage der Pensionsversicherung. Es wurde angenommen, dass das ein Betrag ist, der ein würdevolles Leben ermöglicht. Aus der ursprünglich angedachten 14-maligen Auszahlung der Mindestsicherung pro Jahr wurde allerdings schlussendlich nur eine 12-malige Auszahlung, ohne Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Nur Oberösterreich scherte in dieser Frage aus und legte fest, dass Betroffene die Mindestsicherung 13 Mal pro Jahr bekommen sollten, aufgeteilt auf 12 Auszahlungstermine. Daher ist Oberösterreich das einzige Bundesland, das für Einzelpersonen monatlich bis zu 914 Euro Mindestsicherung auszahlt. In allen anderen Bundesländern sind es zwischen 830 und 840 Euro. In der Mindestsicherung enthalten sind ein Betrag zur Deckung des Lebensunterhalts und ein Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs. In Tirol und Vorarlberg wird nur der Betrag zur Deckung des Lebensunterhalts direkt an die Betroffenen ausgezahlt, beim Wohnbedarf wird die Sachleistung übernommen, also die tatsächlich anfallende Miete bezahlt. Immer wieder wurde in den vergangenen Jahren von Seiten der Bundes-ÖVP Kritik an der Mindestsicherung laut. Seit Anfang 2016 gibt es konkrete Bestrebungen die Mindestsicherung zu kürzen. In den Bundesländern Niederösterreich, Burgenland, Salzburg und der Steiermark wurden subsidiär Schutzberechtigte inzwischen von der Mindestsicherung ausgeschlossen. Subsidiär Schutzberechtigte sind Personen, die zwar keinen Asylstatus erhalten haben, aber dennoch als schutzwürdig erachtet werden, weil ihnen in ihrem Herkunftsland Gefahr für Leib und Leben droht. In Oberösterreich hat die Landesregierung, unterstützt von der Bundes-FPÖ und Teilen der Bundes- ÖVP, auch anerkannte Flüchtlinge von der regulären Mindestsicherung ausgeschlossen. Einzelpersonen erhalten nunmehr statt 914 Euro maximal 560 Euro. Der Betrag, der als Minimum für ein würdevolles Leben festgelegt wurde, wird damit weit unterschritten. Darüber hinaus wollen ÖVP und FPÖ sowohl in einigen Bundesländern als auch im Bund eine Deckelung der Mindestsicherung für Mehrkindfamilien. Maximal 1.500 Euro im Monat soll eine Familie aus den Mitteln der Mindestsicherung erhalten können. Für mittelose Familien mit mehr als zwei Kindern und keinem oder nur einem geringen Einkommen würde das erhebliche Einbußen bedeuten. Noch ist die Bundes-SPÖ nicht bereit, der Deckelung der Mindestsicherung für Familien zuzustimmen. Auch die Bundesländer sind diesbezüglich gespalten. Vorarlberg, Tirol, Salzburg, Kärnten und Wien haben sich bisher gegen eine Deckelung ausgesprochen. Das Burgenland unter SPÖ-Landeshauptmann Niessl ist hingegen für Einschnitte offen, insbesondere, wenn sie Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft treffen. Bis spätestens Ende 2016 muss eine neue Bund-Länder-Vereinbarung zur Mindestsicherung ausgehandelt werden, sonst droht dieses wichtige Standbein des österreichischen Sozialstaates zu kippen – mit fatalen Folgen sowohl für die unmittelbar Betroffenen als auch für ganz Österreich.
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