Bist Du neidisch aufs Notquartier?
POPULÄR GESEHEN. Es geht uns gar nicht darum, was andere haben. Eine Kolumne von Martin Schenk, Illustration: Petja Dimitrova
Bist Du neidisch auf Mindestsicherung? Bist Du neidisch auf Übernachten im Notquartier? Bist Du neidisch aufs Handy vom Flüchtling? Ist es richtig, dass der Neid ein Gefühl ist, das uns erfasst, wenn wir beobachten müssen, dass jemand Anderer etwas Großes, Schönes, Bedeutendes besitzt, das wir selbst gerne hätten? Nein, antwortet der Philosoph Robert Pfaller. Erstens geht es beim Neid nicht um etwas Großes, Schönes, Bedeutendes. Zweitens geht es nicht darum, dass wir es bekommen, sondern darum, dass der Andere es gar nicht besitzen sollte, und drittens wollen wir selbst es gar nicht haben. Aber der Reihe nach. Der Neid trifft das Nahe, Ähnliche, Winzige, die kleine Abweichung. Das Auto des Nachbarn, das Engagement der Kollegin, das Handy nebenan. Nicht der viel Reichere wird von mir beneidet, sondern wie auch schon Aristoteles vor über 2000 Jahren bemerkte, der Vergleichbare. Wer einige Euro mehr oder weniger hat, treibt mich zur Weißglut, nicht die Millionen in den Steueroasen. Der Neid ist ein Phänomen der Nähe und der feinen Unterschiede. Zweitens geht es darum, dass es der Andere nicht hat. Bekomme ich das, was ich dem anderen neide, bin ich überhaupt nicht zufrieden, dann such ich ein weiteres noch kleineres Detail, das ich dem anderen missgönne. Neide ich dem Nachbarn sein Auto, weil es eine so schöne Farbe hat, und würde ich mir dann das gleiche Auto mit selber Farbe zulegen, wäre ich zufrieden? Nein, eine neue kleine störende Differenz wäre da, z.B das coole Autoradio. Die Unzufriedenheit geht erst dann weg, wenn jemand in das parkende Auto rast und es Totalschaden hat. Der Neid möchte in letzter Konsequenz die Vernichtung des beneideten Objekts. Wir wollen das, worum wir den Anderen beneiden, selbst gar nicht haben. Würde der, der die Mindestsicherungsbezieherin ob ihres angeblich schönen Lebens beneidet, selber mit der Armutsbetroffenen tauschen? Nein. Er würde sagen, so hat er das auch wieder nicht gemeint. Aber die Mindestsicherung soll gekürzt werden. Der Neid ist gesellschaftlich entsolidarisierend, ein Gift, das Leute mit ähnlichen Interessen spaltet. Bei einer Auseinandersetzung um besseres Gehalt in einem englischen Unternehmen verzichteten Arbeiter auf einen Teil der Lohnerhöhung, um zu verhindern, dass eine rivalisierende Gruppe ihnen gleichgestellt wird. Oder in Niederösterreich wurde die Mindestsicherung für Flüchtlinge gestrichen, gleichzeitig aber auch die Wohnbeihilfe für Menschen mit Behinderungen gekürzt. Man schaut auf den anderen, dabei wird es einem egal, dass es einem schlechter geht, man wehrt sich auch nicht mehr dagegen. Der Neid ist der Feind des Miteinander und der Freund der Unterdrücker. Diese Verblendung, dass der Neider lieber selbst auf etwas verzichtet, als es dem Beneideten zu gönnen, schadet ihm selbst und nützt den weit Mächtigeren.
Martin Schenk ist Sozialexperte der Diakonie Österreich.
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