Kein Integrationsminister
Fünf Gründe, warum Sebastian Kurz den Titel „Integrationsminister“ nicht verdient. Kommentar: Alexander Pollak, Illustration: Petja Dimitrova
Als Sebastian Kurz im Juni 2011 in die Regierung gerufen wurde, erntete er viel Kritik und auch Spott. Er sei zu jung, er verfüge über keinerlei Erfahrung, er sei noch keine gestandene Persönlichkeit, hieß es. Sehr rasch zeigte sich jedoch, dass Kurz den Ehrgeiz und das Vermögen hatte, viele seiner gestandenen PolitikerkollegInnen an die Wand zu spielen. Er beeindruckte mit kühler Strategie, wirkungsvoller Rhetorik und viel Fleiß in der Entwicklung und Vermarktung von Projekten.
Die strategische Linie von Kurz bestand von Anfang an darin, Vorhaben voranzutreiben, bei denen er mit der Zustimmung einer breiten Mehrheit der Wahlberechtigten in Österreich rechnen konnte. Er setzte prominente Persönlichkeiten als „Integrationsbotschafter“ an Schulen ein. Er forderte schärfere Strafen für Schulpflichtverletzungen. Er setzte Erleichterungen bei der Einbürgerung für „Supermigranten“ um. Und er verknüpfte Integration mit dem Begriff „Leistung“.
Inzwischen ist Kurz seit fünfeinhalb Jahren Mitglied der Bundesregierung, drei Jahre davon als Minister. Doch ist Sebastian Kurz tatsächlich ein Integrationsminister? Erhebliche Zweifel sind angebracht.
1. Mindestsicherungskürzung: Im Jahr 2010 legten Bundesregierung und Länder gemeinsam einen Mindestbetrag fest, der für mittellose Personen ohne ausreichend bezahlten Job ein menschenwürdiges Leben in Österreich ermöglichen sollte. Sebastian Kurz setzt sich dafür ein, diesen Mindestbetrag für kinderreiche Familien und für Menschen mit Fluchtgeschichte radikal zu kürzen. Dass das fatale Auswirkungen auf die Lebensbedingungen und Perspektiven der Betroffenen hat, nimmt er in Kauf.
2. Bildungs-Frühselektion: Das Selektieren von Kindern im Alter von 10 Jahren macht Bildungschancen zunichte. Auch innerhalb der ÖVP gibt es inzwischen Stimmen, die dem kritisch gegenüber stehen. Sebastian Kurz gehört jedoch nicht dazu. Er setzt weiterhin auf Selektion statt Integration. Dabei zeigen Studien, dass ein Selektionsschulsystem Kinder, deren Eltern ein geringes Einkommen und keinen akademischen Hintergrund haben, eklatant benachteiligt.
3. Integration nicht von Anfang an: Lange hat sich Kurz mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, Integrationsprogramme und Sprachkurse auch für Asylsuchende und nicht nur für Asylberechtigte anzubieten. Einige Bundesländer haben, entgegen der Linie des Ministers, von sich aus angefangen, Angebote für Asylsuchende zu entwickeln. An einem flächendeckenden Integrationsprogramm für Neuankommende von Anfang an fehlt es jedoch nach wie vor. Kurz hat sich auch gegen die Ausbildungspflicht von jungen Asylsuchenden gestellt.
4. Einbürgerungsblockade: Österreich zählt zu den europäischen Ländern mit der niedrigsten Einbürgerungsrate. Grund dafür sind extrem restriktive Einbürgerungsbestimmungen. Wer etwa zu wenig verdient, hat keine Chance auf Einbürgerung. Das betrifft auch Personen, die bereits 15, 25 oder 50 Jahre im Land leben oder hier geboren wurden. Die Folge ist, dass immer mehr Menschen in Österreich von demokratischen Rechten und auch von Zugehörigkeit ausgeschlossen sind.
5. Diskreditierung von Willkommenskultur: Vor zwei Jahren setzte sich Kurz noch für ein Mehr an Willkommenskultur ein. In dem Moment, als der Begriff von rechts kritisiert wurde, ließ Kurz ihn nicht nur wie eine heiße Kartoffel fallen, er fing auch an, ihn zu diskreditieren. Dabei ist eine Willkommenskultur, die Menschen offen, hilfsbereit und respektvoll begegnet und die Solidarität, Menschlichkeit und Gleichberechtigung vorlebt, die vielleicht stärkste integrative Kraft, die unsere Gesellschaft leisten kann.
Sebastian Kurz ist ein hochtalentierter Rhetoriker, der überzeugend aufzutreten vermag. Seine Integrationspolitik beschränkt sich jedoch auf Bereiche, die als populär gelten. In anderen Bereichen lässt Kurz Engagement vermissen oder macht sogar beinharte Chancenminimierungs- und Segregationspolitik.
Kurz ist der Minister, der für die Integrationsagenden zuständig ist, Integrationsminister ist er jedoch bisher nicht. Diesem Auftrag sollte er nachkommen.
Unterstützen Sie jetzt unabhängigen Menschenrechtsjournalismus mit einem MO-Magazin-Solidaritäts-Abo