"Wir müssen unsere Gewohnheiten in Frage stellen“
Frauen erhalten oft weniger Gehalt, erfahren mehr Gewalt
und sind an Entscheidungstischen oft unterpräsentiert. Schifteh Hashemi, Sprecherin des Vereins Frauenvolksbegehren 2.0 über Gender Pay Gap, #metoo und die 1-Millionen-Frage.
Interview: Gunnar Landsgesell, Alexander Pollak
Wie erklären Sie den Menschen in Österreich und der österreichischen Bundesregierung, von deren Mitgliedern ja bislang niemand das Volksbegehren unterzeichnen will, dass wir im Jahr 2018 ein Frauenvolksbegehren brauchen?
Die Gleichwertigkeit von Frau und Mann ist im Alltag noch nicht angekommen. Frauen bekommen noch immer weniger Gehalt und sie leisten den Großteil der unbezahlten Arbeit. Sie sind häufiger von sexueller oder körperlicher Gewalt betroffen und sind an den Entscheidungstischen – ob in Politik, Wirtschaft, Sport, Medien oder Kultur – nicht ausreichend vertreten. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Wir wollen echte Gleichwertigkeit, echte Vielfalt und echte Sicherheit. Und wir wollen, dass sich Frauen und Männer unabhängig von Rollenklischees frei entwickeln können. Für all das braucht es auch im Jahr 2018 – leider – noch ein Frauen*Volksbegehren.
1997 gab es bereits ein Frauenvolksbegehren mit 650.000 Unterschriften. Was wurde in den 20 Jahren erreicht?
Sehr viel und trotzdem nicht genug. Dass wir Frauen heute mit dieser Selbstverständlichkeit hier stehen und unsere Gleichwertigkeit in allen Bereichen des Lebens begehren, ist nicht plötzlich gekommen. Da steckt viel Arbeit drinnen, im gesetzlichen Regelwerk, in den Strukturen vieler Institutionen und nicht zuletzt in den Köpfen von uns allen.
Fernsehdiskussionen, Politik- und Wirtschaftstreffen, auch die Parlamentsreihen sind überwiegend männlich besetzt. Warum wird das von vielen als normal empfunden und kaum kommentiert?
Es wird als normal empfunden, weil es die letzten Jahrzehnte normal war. Das ist das Bild, mit dem viele von uns aufgewachsen sind. Diese männliche Dominanz ist fest in unseren Alltag eingeschrieben und bestimmt unser Bewusstsein von Normalität. Mit dieser Vergangenheit zu brechen, ist ein schwieriger Prozess. Wir müssen ja unsere eigenen Gewohnheiten und Bilder in Frage stellen.
Was könnte eine Frauenquote bewirken? Würde sie auch unser Bewusstsein ändern?
Wir fordern eine Geschlechterquote, keine Frauenquote. Das heißt, dass es auch in klassisch weiblich dominierten Berufen mehr Männer braucht. Gleichwertigkeit hat mit Repräsentation und gleichen Chancen zu tun. Eine Geschlechterquote schärft den Blick für Talente, die nicht sofort als solche wahrgenommen werden. Zusätzlich könnten wir ein neues Bild von ‚normal’ lernen. Vielfalt und Ausgewogenheit der Geschlechter wird selbstverständlich.
Soziale Berufe sind notorisch schlechter bezahlt als etwa technische Berufe. Hat das damit zu tun, dass eine Berufsgruppe eher weiblich, die andere eher männlich besetzt ist? Was ist zu tun?
Je höher der Frauenanteil, desto niedriger die Entlohnung. Das gilt für viele Berufe, insbesondere im sozialen Bereich. Pflege- und Hausarbeit gelten seit jeher als selbstverständliche Pflichten der Frau. So werden diese Tätigkeiten entweder gar nicht oder schlechter entlohnt. Zum einen verdienen diese Berufe mehr öffentliche Anerkennung, denn sie sind essentiell für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Zum anderen wollen wir eine gerechtere Verteilung von Arbeit. Viele Frauen können nur Teilzeit arbeiten, da auf ihren Schultern die Haus- und Sorgearbeit lastet. Weniger Erwerbsarbeitsstunden für Frauen und Männer wäre eine Voraussetzung für eine gerechtere Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit.
Warum gibt es in Österreich eigentlich bis heute keine Bundeskanzlerin?
Die 1-Millionen-Frage. Nein, im Ernst: Die Gründe sind vielfältig und das Frauen*Volksbegehren deckt sie alle ab. Weil wir viel zu früh mit Stereotypen konfrontiert werden, anstatt echte Wahlfreiheit und Vielfalt zu ermöglichen. Weil Frauen, die Lust und das Potential hätten Bundeskanzlerin zu werden, durch unzureichende Kinderbetreuung, den Großteil der Sorgearbeit und die gläserne Decke bei diesem Karriereschritt behindert werden.
In einem offenen Brief an die neue Regierung heißt es zum Thema Lohnschere: ‚Wir nehmen es nicht länger hin, schlecht bezahlt und mit weniger Aufstiegschancen abgespeist zu werden. Österreich, das viertreichste Land in der EU, hat einen der größten Vermögens- und Lohnunterschiede. Das muss sich ändern!’ Was sollte die neue Regierung tun?
Wir fordern, dass Einkommensberichte in Unternehmen verpflichtend werden. Es muss klar ersichtlich sein, wer wie viel in welchem Unternehmen verdient und warum. Oft ist es ja so, dass im selben Team bei gleicher Arbeit, die Frau weniger Gehalt bekommt, als ihr männlicher Kollege. Aber niemand außer der Personalabteilung weiß es. Das heißt: Ein Unternehmen legt einen Einkommensbericht vor, da sind Differenzen, die nicht erklärbar sind, und dann ist das Unternehmen verpflichtet, diese auch abzubauen, sonst gibt es Sanktionen.
Bei Debatten über MigrantInnen und Islam werden durchwegs patriarchale Strukturen kritisiert. Es wird dabei ein Bild vom Patriarchat als Fremdes und von außen Kommendes gezeichnet. Nehmen wir uns selbst fortschrittlicher wahr als wir sind?
Die eigentliche Frage ist, wem ein solcher Vergleich nützt. Frauenfeindliche Strukturen finden wir überall, unabhängig von Herkunft und Religion. Was sie unterscheidet, ist, wie offen und explizit sie gezeigt werden (dürfen), ohne sanktioniert zu werden. Pauschalierende Aussagen über eine ganze Religionsgemeinschaft machen allerdings handlungsunfähig. Damit ist weder Frauen in Saudi Arabien, noch jenen in Österreich geholfen. Dort, wo Frauen diskriminiert werden oder Gewalt erfahren, müssen wir es kompromisslos benennen.
Sexuelle Belästigung wird von Hollywood bis zum ÖSV und über #metoo so breit thematisiert wie vielleicht noch nie. Ist das ein Hype oder macht das eine strukturelle Änderung sichtbar?
#metoo leistet einen wichtigen Beitrag zur Sichtbarkeit von sexueller Gewalt, zur Entstigmatisierung von Betroffenen und zur öffentlichen Debatte über Sexismus. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es je so einen offenen und breiten medialen Diskurs zu sexueller Gewalt gegeben hat. Wie nachhaltig der Diskurs auch Strukturen verändert, können wir erst im Nachhinein bewerten. Aber wir sehen gerade, dass durch viele Institutionen ein Ruck geht – man setzt sich mit dem Thema auseinander. Darin liegt eine große Chance für uns alle.
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