Osmanische Dirndl und österreichische Afros
Die Designerin Canan Ekici-Bülbül hat das Dirndl mit arabischen Kalligraphien neu interpretiert, die schwarze Bloggerin Christl Clear verbindet Lifestyle mit gesellschaftspolitischen Themen. Ein Porträt.
Text: Nour-El-Houda Khelifi
Die Oma passt gerade auf die Kinder auf, deswegen haben wir genug Zeit zum Reden.“, sagt Canan und räumt ihre Kleiderentwürfe vom Tisch. Eine kleine und große Standpuppe stehen in der Ecke, man sieht unzählige Nadeln aus den Stoffen herausragen. „Ich arbeite gerade an einer Mutter-Tochter Kollektion.“ Canan Ekici-Bülbül ist Innenarchitektin, Schneiderin, sowie Gründerin ihres Modelabels „Ekicidesign“ und zweifache Mutter. Alles wird handgemacht, Nachhaltigkeit und Qualität aus Österreich werden bei „Ekicidesign“ groß geschrieben. Kommt sie bei zu hohen Nachfragen nicht nach, setzt sie auf österreichische Arbeitskräfte. Polarisiert hat sie 2015 mit ihrer neuen Interpretation des österreichischen Dirndls. In rot und grau gehalten, ist eine arabische Kalligraphie auf dem Oberteil angebracht. Das osmanische Dirndl sollte ihrer austro-türkischen Identität Ausdruck verleihen. Die Motive sind islamisch-osmanisch angehaucht, die Schnitte und Stoffe österreichisch. Die Stickerei ist ein Vers aus dem Koran und lautet „Iqra“ – „Lies“. „Frauen sollten sich dazu ermutigt fühlen, in den verschiedensten Lebensbereichen aus- und weiterzubilden“, erklärt die 30-jährige Schneiderin.
Doch nicht nur bei österreichischen Musliminnen findet das Dirndl Anklang, auch international und bei Nichtmusliminnen herrscht Nachfrage. Provozieren wollte sie mit dem osmanischen Dirndl nicht, eher Stereotype aufbrechen und ihre österreichisch-türkische Identität in einem Kleidungsstück widerspiegeln, das eine schließt das andere nicht aus. Ein Kommentar zum osmanischen Dirndl ist Canan bis heute im Kopf geblieben. „Als ob es mir als Ausländerin zustünde, das Dirndl neu zu definieren, schrieb mir eine ältere Dame.“
Viele nehmen Identität immer noch als etwas Starres und nicht Wandelbares wahr, die Designerin möchte an diesem Konstrukt rütteln. „Als junger Mensch kann ich mir meine Werte selber zuschreiben, dieser Prozess führte dann eben zu meiner Identitätsfindung“, beschreibt sie. Deswegen kann die 30-Jährige mit den wehleidigen Wertedebatten, die politisch ausgefochten werden, nichts abgewinnen. Mode ist mittlerweile auch Medium für gesellschaftlich relevante Themen geworden, ein Punkt, der ihre Arbeitsphilosophie ausmacht.
„Leute, die mir in die Haare greifen“
Die Lifestylebloggerin Christiana Ogunfojuri, auch bekannt als Christl Clear, teilt dieselbe Meinung. Die Fusionierung von gesellschaftlichen Brennpunkten und Lifestyle machen es leichter, Thematiken wie Rassismus oder Sexismus an den Mann und die Frau zu bringen. „Wenn ein Kanye West mit seiner Kollektion eine Frau mit Kopftuch über den Runway laufen lässt, dann wird sich der Stefan aus dem 19. Bezirk denken: Ah, leiwand, is eigentlich eh cool, weil Kanye hat’s gemacht“, erklärt die 33-jährige Wienerin mit einer Reichweite von knapp 11.000 Followern auf Instagram. So werden komplexe Themen greifbarer und auch besser zu verarbeiten für die Mehrheitsgesellschaft. Anhand der Kommentare bekommt die erfolgreiche Bloggerin ihre Bestätigung – Leute können sich mit ihr identifizieren, Hautfarbe hin, Afro her. Christiana schreibt über Mode, Beauty und Lifestyle, aber auch Feminismus und Empowerment. „Ich finde es extrem wichtig, auch gesellschaftspolitisches zu thematisieren, ich sag’s auch oft meinen BloggerkollegInnen, weil ich es eine Frechheit finde, wenn man das nicht macht.“, erzählt die Wienerin mit nigerianischen Wurzeln. Man könne es sich heutzutage nicht mehr erlauben, nur mit Scheuklappen durch die Gegend zu rennen, wenn man so eine große Reichweite an Followern hat. Außerdem ist die ehemalige Publizistik-Studentin auch Youtuberin, wo sie mit ihrem Freund Markus als „Mr. & Mrs. Clear“ beispielsweise von ihrem Beziehungsalltag als Multikulti-Pärchen erzählen. In Österreich war sie eine der ersten schwarzen Lifestylebloggerinnen. Neben Christl Clear und Nehemie Lello de la Costa, auch bekannt als neo.neferti auf Instagram, ist die kulturelle Diversität in der Bloggerszene ziemlich überschaubar. Im Lifestyle-Segment ist Christianas Hautfarbe selten ein Problem, mit beruflichem Rassismus wird sie nicht wirklich konfrontiert, mit Ignoranz schon eher. Ständig die erste Schwarze gewesen und immer noch zu sein, damit weiß die Bloggerin mittlerweile umzugehen, in einigen Situationen muss sie aber immer noch den Kopf schütteln. „Leute, die mir in die Haare greifen oder daran ziehen, um zu überprüfen, ob ich eine Perücke trage oder nicht.“, erzählt Christiana von ihren Erfahrungen. Hass gegenüber Flüchtlingen kann sie in keinster Weise verstehen, bei Aussagen wie „Schleich dich, du nimmst meinen Job weg!“ kontert sie mit Humor. „Dann muss ich immer laut lachen und antworte: Du könntest aber meinen Job nicht machen, weil du nicht weißt, wo man einen Beistrich setzt, Hawara.“, erzählt sie als g’standene Wienerin. „Jeder, der die Existenz von Rassismus und Diskriminierung infrage stellt, verdrängt einfach nur, weil es nun mal eine Riesenhack’n und ziemlich unangenehm ist, sich damit auseinanderzusetzen.“
„Ausländern vermieten wir nix!“
Es sei auf jeden Fall wichtig, da anzusetzen, aufzuklären und den Menschen bewusst zu machen, was für Dynamiken da im Spiel sind. „Meinem Freund ist vorher nie aufgefallen, dass es in Serien weit und breit keine Minderheiten gibt.“, erzählt sie lachend. Auch die Wiener Designerin Canan hat bis heute mit Rassismus zu kämpfen. Die langwierige Suche nach einem eigenen Atelier hat sich mehr als gelohnt. Als zweifache Mutter kommt es ihr sehr gelegen, dass sich das Atelier nur ein paar Gehminuten von der eigenen Wohnung befindet. Trotzdem war es die größte Hürde auf dem Weg zur endgültigen Selbstständigkeit. „Am Telefon ergaben sich immer nette Gespräche, als die Makler mich jedoch zum ersten Mal gesehen haben, habe ich direkt Absagen bekommen oder wurde als Ausländerin beschimpft. Einer saß sogar noch im Auto, wollte nicht aussteigen und zeigte mir den Mittelfinger, bevor er wegfuhr.“, erzählt die junge Mutter.
Ursprünglich wollte Canan Innenarchitektin werden, doch im Laufe des Studiums und der Praktika war es ihr aufgrund der Überstunden und unregelmäßigen Arbeitszeiten unmöglich Uni, Arbeit und Tochter zu vereinbaren. Ihre einzige Lösung war der Weg der Selbstständigkeit. Canan Ekici-Bülbüls Lebensrealität spiegelt sich auch in den Statistiken nieder. Laut einer Studie der deutschen Universität Siegen können 60 Prozent der Frauen, die Architektur studieren, ihren Beruf nicht mehr ausüben, weil Familie und Karriere in der Branche schwer unter einen Hut zu bringen sind. Sich als Mutter selbstständig zu machen ist trotzdem kein Zuckerschlecken. „Es war für mich das kleinere Übel. Aber immerhin kann ich jetzt meine Zeit selber einplanen und auch nachts im Atelier arbeiten, wenn die Kinder schlafen.“, beschreibt Canan ihren Alltag. Das größte Problem war die Kinderbetreuung – und ist es bis heute. Als Studentin mit Kind sind ihr damals Lücken im System aufgefallen. „Der Kindergarten an der Uni hatte keine Öffnungszeiten, die mit unserem Stundenplan vereinbar waren.“, erklärt Canan. „Wir hatten auch abends Veranstaltungen oder Blockseminare am Wochenende. Wo soll man sein Kind hinbringen in dieser Zeit?“ Canan sah sich damals genötigt, ihre Tochter in die Vorlesungen mitzunehmen, wenn keine andere Betreuungsmöglichkeit vorhanden war. Das öffentliche Angebot der Kinderbetreuung entspricht nicht den Realitäten von erwerbstätigen Eltern, für Alleinerziehende ist die Tagesbetreuung verbunden mit der Frage, ob man zuhause bleiben muss oder einer Tätigkeit nachgehen kann.
Einen Ausbau der kostenlosen Kinderbetreuung bis zum 14. Lebensjahr wird auch im aktuellen Frauenvolksbegehren gefordert. Die Initiative, welche die Rechte und Sichtbarkeit der Frau im Alltag und der Öffentlichkeit sichern und stärken soll, ist aber nichts Neues. Bereits vor 20 Jahren forderte die Zivilgesellschaft eine Gleichstellung von Mann und Frau in Österreich. Forderungen, beispielsweise für eine gerechte Bezahlung, ist die Politik bis heute nicht nachgekommen. Mit der schwarzblauen Regierung sind sogar Rückschritte zu befürchten. „Es ist für Frauen in der Arbeitswelt schon schwer genug, der 12-Stunden-Tag wird Frauen definitiv wieder in den Haushalt drängen.“, sagt die Wiener Designerin Ekici-Bülbül. Es sollte im Aufgabenbereich des Staates liegen, den Mittelweg zwischen Beruf und Kindern zu ermöglichen und vereinfachen. Canan von „Ekicidesign“ hatte noch das Privileg, Rückhalt von Mann und Familie zu haben, wie der Alltag von alleinerziehenden Eltern aussieht, kann sie sich gar nicht vorstellen. „Wäre ich Alleinerzieherin gewesen, hätte ich das alles niemals bewältigen können.“, erzählt die junge Mutter. Auch sie verfolgt die News rund um das Frauenvolksbegehren, Lifestylebloggerin Christiana wurde erst von ihrem Freund Markus darauf aufmerksam gemacht. „Es ist wichtig, dass wir solche Initiativen haben, aber auch, dass wir die Männer erinnern, dass ihre Unterstützung in dem Punkt auch gefragt ist.“, sagt Christiana mit Nachdruck. Als Frau sei man aktiv im Nachteil, besonders, wenn man berufstätig ist und gleichzeitig eine Familie planen möchte. Der
Familienbonus oder 12-Stunden-Tag würde Familien, insbesondere Alleinerziehende, überstrapazieren.
#MeToo
Sexismus ist den beiden selbstständigen Wienerinnen kein Fremdwort. Die Mode und Medienwelt wurde erst kürzlich durch die Hashtag-Aktion #MeToo aufgerüttelt, angeführt von der Schauspielerin Alyssa Milano. Via Twitter rief sie Menschen dazu auf, von ihren Erlebnissen sexueller Belästigungen oder Vergewaltigungen zu tweeten. Millionen Frauen teilten danach weltweit unter dem Hashtag #MeToo ihre erschreckenden Geschichten, die von sexuellem und gewalttätigem Missbrauch erzählen. Erstmals initiiert wurde die #MeToo Aktion bereits 2008 von der afroamerikanischen Aktivistin Tarana Burke. Im US-amerikanischen Magazin „Ebony“ gab sie unzähligen Frauen die Möglichkeit, ihren traumatisierenden Geschichten Gehör zu verschaffen und Erlebtes zu verarbeiten. Die ‚#MeToo-Welle schwappte auch nach Österreich über. 41 Prozent der österreichischen Frauen gaben 2017 in einer Onlineumfrage des Linzer Market Instituts an, dass sie mindestens einmal von einem Mann sexuell belästigt wurden. Das Facebook-Posting der Schauspielerin Nina Proll, wo sie Unverständnis für die #MeToo-Initiative zeigte und Frauen „Avancen“ von Männern nicht als Belästigung, sondern als „Kompliment“ auffassen sollten, löste eine Debatte darüber aus, wo sexuelle Belästigung anfängt und aufhört. „Ab dem Zeitpunkt, wo sich eine Frau belästigt fühlt, auch wenn es nur ein Flirten ist, liegt für mich eine sexuelle Belästigung vor.“, sagt Canan Ekici-Bülbül. Es brauche viel mehr Aufklärung und schärfere Gesetze.
Mit vielen sexistischen Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz musste auch die Wiener Bloggerin Christiana kämpfen. Redaktionelle Vorschläge von ihr wurden nicht angenommen, von männlichen Kollegen schon – obwohl es dieselben Vorschläge waren. Die 33-Jährige musste ihren Chefredakteur direkt ansprechen und darauf hinweisen. „Auch wenn es etwas gedauert hat, konnte er sich im Nachhinein eingestehen, dass seine Handlungen mir gegenüber sexistisch motiviert waren.“, erinnert sie sich. Die Lifestylebloggerin fordert ein massives Umdenken in den österreichischen Redaktionen. „Die ganzen Oldies, mehrheitlich männlich und weiß, die in den Führungspositionen sitzen, müssen gehen.“, sagt die Wienerin. „Jüngere Frauen an der Spitze wie in WOMAN oder „Miss“ merkt man den Wandel im Heft an.“, beschreibt Christl Clear.
Noch sind die Bloggerin Christl Clear und Designerin Canan Ekici-Bülbül Pionierinnen in der Medien- und Modewelt. Ihre Diversität stößt manch einem Patrioten sauer auf, aber die beiden selbstständigen Frauen machten sich ihre Eigenheiten zum Job. „Viele sehen ihr Anders-Sein als etwas Negatives an und stehen sich damit selbst im Weg.“, erklärt Christiana. „Aber bis zum nächsten Generationenwechsel bin ich gerne die schwarze Vorreiterin.“
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