Bildungsreform: Falscher Weg
Wir erleben eine "Bildungs-Chancen-Abschneiderei" in Österreich. Kommentar von Daniela Egger, Evi Hagen und Simone Flatz von PRIM
Die Pläne der separaten Deutschklassen sorgen zunächst bei vielen Menschen für Zustimmung – bei Menschen, die den Alltag an der Schule nicht kennen und nicht wissen, was Ausgrenzung in einem Kind bewirkt. Niemand bestreitet, dass es Sinn macht, wenn Kinder die Unterrichtssprache beherrschen. Dass sie diese aber unter den einheimischen Kindern im Klassenverband schneller erlernen, liegt auf der Hand. Deutsch-Förderklassen sind sinnvoll, als zusätzliches Angebot nach dem Unterricht. So kann sich ein Kind in die Klassengemeinschaft integrieren, westliche Werte lernen und rasch in die Sprache finden. Es aus dem Unterricht herauszunehmen, in isolierte Klassen zu stecken und zu erwarten, dass so Integration stattfindet, ist absurd.
Das ist nur ein Beispiel unter vielen, das deutlich macht, wie wenig die amtierende Regierung von Bildung versteht. Auch die Wiedereinführung der Ziffernnoten in der Volksschule ist unsinnig. Gerade eben wurde erreicht, dass alternative Beurteilungsformen ohne bürokratisches Prozedere umgesetzt werden können. Wertschätzende Feedbackgespräche führen zu besserer Orientierung, bei Kind und Eltern. Ziffernnoten machen keinen Sinn, sofern konsequent individualisiert wird, stattdessen fördern sie wieder nur das Konkurrenzdenken.
Doch Individualisierung im Unterricht ist mit den Plänen der Regierung kaum aufrecht zu halten. Gute PädagogInnen wissen, dass Leistung durch gezielte Förderung jedes einzelnen Kindes erreicht wird – und nicht durch eine Gleichmacherei, wie sie die geglaubt überholten, konservativen Strukturen nun wieder einbetonieren wollen!
Selektives Schulsystem zementiert
Der geplante Neubau von weiteren AHS-Unterstufengymnasien schwächt die Mittelschule und zementiert das selektive Schulsystem, ganz zu schweigen von der geplanten Installation einer Hochbegabten-Schule in jedem Bundesland. Dasselbe beim Thema Inklusion: Sie wendet sich der Vielfalt aller Menschen positiv zu, Besonderheiten und kulturelle Unterschiede werden heute schon in vielen Klassen ganz selbstverständlich gelebt. Durch den Erhalt und die Stärkung der Sonderschule und der AHS-Unterstufe wird dieser Prozess jedoch untergraben, wenn nicht sogar gestoppt.
In Vorarlberg existiert ein (beinahe einstimmiger) Regierungsbeschluss für die Gemeinsame Schule bis 14 Jahre. Es liegt eine aufwändige wissenschaftliche Studie vor, die die Grundlage für diesen Beschluss bildete. Die Ergebnisse weisen in eine pädagogisch fundierte Richtung und waren Anlass zur Hoffnung. Wir möchten die Landesregierung bestärken und auffordern, die beschlossene Umsetzung der Modellregion Vorarlberg weiter zu betreiben.
Grundsätzlich entspricht die Haltung der Bundesregierung veralteten Strukturen, sie verzichtet auf den Dialog und erteilt Anweisungen von oben nach unten. Diese Zeiten sind zumindest innerhalb der meisten Schulen glücklicherweise vorbei, in den Klassen werden die Erfahrungen anderer respektiert und bei Konflikten wird der Dia-
log gesucht. Die Rückwärtsgewandtheit der Regierung kostet viel Geld, viele Chancen, viele Jahre engagierter Arbeit.
In dieselbe Richtung zielen andere Maßnahmen, z.B. die Kürzung der Mindest-
sicherung, die Streichung der Aktion 20.000, die Ghettoisierung von Asylsuchenden und ähnliche Ideen – all das grenzt Menschen aus, Menschen jeglicher Herkunft.
Diese Signale aus der Regierung greifen stark in die tägliche Arbeit an den Schulen ein, auf höchst negative Weise. PädagogInnen bemühen sich Tag für Tag in den Klassengemeinschaften darum, ein Miteinander, Toleranz und Respekt füreinander zu leben. In einer sich stark verändernden Welt liegt in der Sozialkompetenz der Kinder die Zukunft unserer Gesellschaft, und wir erwarten von einer Bundesregierung die Unterstützung dieser wertvollen Arbeit an den Schulen.
PRIM, die Vorarlberger Plattform für reformpädagogische Initiativen & Mehr, setzt sich seit zehn Jahren für eine chancengerechte, gemeinsame und inklusive Schule ein. Mit einer Demonstration in Bregenz machte die Plattform kürzlich auf die Pläne der Regierung im Bildungs- und Sozialbereich aufmerksam.
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