Wir sind keine ‚laissez- faire‘-Organisation
Konrad Kogler, seit 2017 Landespolizeidirektor von Niederösterreich, über die Gründe für die sinkende Kriminalitätsrate, das Prinzipü der Rechtsstaatlichkeit udn die geplanten neuen Bereischaftseinheiten der Polizei.
Interview und Fotos: Philipp Sonderegger
Herr Kogler, wie zufrieden sind Sie, was den Umgang der Polizei mit Misshandlungsvorwürfen betrifft?
Konrad Kogler: Wenn es Misshandlungsvorwürfe gibt, werden diese klar und transparent aufgeklärt. In Niederösterreich haben wir etwa 20 Misshandlungsvorwürfe pro Jahr. Wir bringen jeden dieser Vorwürfe bei der Staatsanwaltschaft zur Anzeige. Die Polizei leistet auch intern die notwendige Aufklärungsarbeit, um Fehlverhalten abzustellen.
Kürzlich wurde eine Anklage gegen zwei Jungpolizisten diversionell erledigt. Deshalb, weil sie nicht eingeschritten sind, als ein älterer Kollege einen obdachlosen Mann schlug. Der Richter äußerte Verständnis, weil diese spezielle Situation nicht geschult werde. Braucht es Nachschärfung in der Ausbildung, um klarzustellen, dass gefährliche Angriffe abzuwehren sind, auch wenn sie von Vorgesetzten kommen?
Also, ich glaube nicht, dass wir in der Ausbildung irgendetwas anderes lehren. Es ist ganz klar, ob und wie eine Polizistin oder ein Polizist die Amtshandlung führt, dafür muss jeder persönlich die Verantwortung tragen können. Im Übrigen erfolgt auch in der diversionellen Erledigung eine Zuschreibung der Verantwortung. Ich habe sehr viele Polizisten und Polizistinnen erlebt, die genau solche Dinge aufgezeigt haben. Ich kann mich nicht erinnern, dass das je zu negativen Konsequenzen geführt hätte.
Sie haben als Generaldirektor für öffentliche Sicherheit der Polizei das Selbstverständnis der größten Menschenrechtsorganisation des Landes gegeben. Wie setzt man solche Leitbilder gegen konträre Erwartungen durch, mit denen Polizistinnen und Polizisten in ihrem Alltag konfrontiert sind?
Wir müssen den Polizisten von Anfang an klar machen, was die Rahmenbedingungen sind, also zum Beispiel Rechtsstaatlichkeit, sonst führt das zu Frustration. Wir sind keine ‚laissez-faire’-Organisation, aber es muss die Möglichkeit zur Beteiligung geben.
Wie wichtig ist die Rolle der Polizeiführung, also etwa das Auftreten der Polizeidirektoren, des Ministers oder mittlerer Führungskräfte?
Zwei Hebel sind entscheidend, erstens: die Frage, wie sich Führungskräfte verhalten. Wenn es eine Abweichung zwischen dem Gesagten und dem, was getan wird, gibt, dann verliert nicht nur die Führungskraft an Glaubwürdigkeit, sondern die ganze Organisation. Der zweite wichtige Punkt ist, wer in einer Organisation etwas wird. Sind das jene Personen, die den Ansprüchen der Organisation gerecht werden oder sind das Andere?
Auch die Burschenschaft Germania – gegen die wegen antisemitischer Liedtexte ein Verfahren in Ihrer Behörde läuft – hat sich in einer Stellungnahme zu den Menschenrechten bekannt. Wird das Konzept nicht zahnlos, wenn es von allen und jedem vereinnahmt werden kann?
Zu laufenden Verfahren äußern wir uns grundsätzlich nicht. Aber den Diskurs über Menschenrechte müssen wir mit allen Gruppen in der Gesellschaft führen. Ich glaube, es gibt kein Monopol für die Polizei, kein Monopol für die Justiz oder wen auch immer.
Wenn Polizistinnen und Polizisten Fehler machen, müssen Vorgesetzte ständig die disziplinar- oder strafrechtliche Relevanz im Auge behalten. Ist es unter diesen Umständen nicht nahezu unmöglich, eine Fehlerkultur zu etablieren?
Als Polizei haben wir nicht ganz unerhebliche Befugnisse. Dem gegenüber ist mit dem Legalitätsprinzip auch die Fehlertoleranz enger gezogen. Aber es gibt Spielraum. In unserem Dienstrecht sind Mittel vorgesehen, vom so genannten Anleitungsauftrag bis hin zur Belehrung. Diese stehen Führungskräften zur Verfügung, noch lange bevor jemand disziplinarrechtlich zur Verantwortung gezogen werden muss.
Weitreichende Befugnisse der Polizei erfordern weitreichende Kontrolle. In der Praxis kommt viel Widerstand der Polizei gegen Transparenz – Stichwort Kennzeichnungspflicht oder Filmen von Amtshandlungen. Warum tut sich die Polizei so schwer, Rechenschaft über ihr Handeln abzugeben?
Wenn ich auf die letzten 25 Jahre zurück blicke, teile ich diesen Eindruck nicht. Der Menschenrechtsbeirat hat eine wichtige Rolle gespielt. Da spreche ich als Polizist: Am Anfang war es durchaus befremdlich, als Außenstehende gekommen sind, um sich umzusehen. Das hat im Ordnungsdienst, aber auch in den Polizei-Anthaltezentren deutliche Veränderungen bewirkt. Neben der Volksanwaltschaft wird die Polizei von vielen Behörden, von NGOs und auch dem Parlament kontrolliert.
Es sollen jetzt österreichweit Bereitschaftseinheiten kommen. Warum tragen diese den Einsatzoverall und nicht die Uniform? Ein Signal erhöhter Bereitschaft? Ständiger Alarm führt ja auch zu Verunsicherung.
Naja, Bereitschaftseinheiten sollen bei gefahrengeneigten Amtshandlungen Unterstützung leisten. Ich glaube, die Adjustierung ist schlicht und ergreifend der vorgesehenen Funktion und Einsatzweise geschuldet. Ich habe bis dato wirklich noch nie eine negative Rückmeldung aus der Bevölkerung erlebt. Sie haben aber recht, dass man vorsichtig sein muss, wenn die Polizei ohne Anlass in größeren Gruppen auftritt. Das wird eher als Unruhe erlebt, was denn hier los sei.
Die Kriminalitätsraten sinken, obwohl die Bevölkerung wächst und die Grenzen offen sind. Wir erklären Sie sich das?
Der langjährig rückläufige Trend hat mit unseren Maßnahmen der letzten Jahre zu tun. Nehmen Sie die Einbruchskriminalität und ihre enormen Wachstumsraten in den Jahren 2005 bis 2008. Da haben wir viel im Bereich der Prävention gemacht. In Niederösterreich ist es jetzt bei 40 Prozent der Einbrüche beim Versuch geblieben. Zweitens erwischen wir die gewerbsmäßigen Einbrecher über kurz oder lang, weil wir entsprechende Tatortsicherungen machen und uns mit anderen Polizeien sowohl persönlich als auch digital vernetzen.
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