Wenn der Rechtsstaat versagt
In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Aktivistinnen ermordet, die sich für Menschenrechte eingesetzt hatten. Kaum ein Fall wurde aufgeklärt. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte.
Wer sich für Menschenrechte, Demokratie und Umwelt einsetzt, lebt in weiten Teilen dieser Welt gefährlich. Laut Kinderhilfswerk „Terre des hommes“ wurden im vergangenen Jahr 321 MenschenrechtlerInnen ermordet. Man könnte meinen, dass die Morde sich vor allem auf kriegführende Staaten oder Diktaturen beschränken. Keineswegs, wie gerade die letzten Jahre zeigten. Im Oktober 2017 wurde in Malta die Journalistin Daphne Caruana Galizia durch eine Autobombe getötet. Sie war Kolumnistin der Sunday Times und betrieb einen der meistgelesenen Blogs Maltas. Im Zuge der Affäre um die Panama Papers und Steueroasen deckte die studierte Archäologin u.a. Verwicklungen von Regierungsmitgliedern auf, das Polit-Magazin „Politico“ bezeichnete sie gar als „One-Woman-WikiLeaks“. Zuletzt rechercherierte Galizia auch Geschäfte des Chefs der Nationalistischen Partei Maltas und von dessen Geschäftspartner. Der Mord an Galizia ist bis heute nicht aufgeklärt. Bereits zehn Jahre liegt der Tod der russischen Historikerin Natalja Chussainowna Estemirowa zurück. Die Lehrerin und Tochter einer Tschetschenin lebte in Grosny, wo sie als Mitarbeiterin der NGO „Memorial“ massive Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien aufzeigte. 2005 verlieh ihr das Europäische Parlament die Robert-Schumann-Medaille. Im Juli 2009 fand man ihren Leichnam in der Nachbarrepublik Inguschetien am Waldrand. Der Verdacht, dass Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow hinter dem Mord steht, konnte nie bestätigt werden. Trotz der Beteuerungen Moskaus, den Fall aufklären zu wollen, bleiben die Täter auch zehn Jahre später unbekannt.
Polizei und Politik
Morde wie diese lassen sich als Indikator für die Integrität staatlicher Regierungen lesen. Wo die Demokratie geschwächt ist und es an Kontrolle mangelt, wird engagiertes Handeln zunehmend prekär. Der Verfall des Staatswesens in Mexiko ist ein Paradebeispiel dafür. In Mexiko war Miriam Rodríguez Martínez landesweit bekannt für ihr Engagement bei der Suche nach verschleppten Personen. Der Krieg der Narco-Banden, deren Verflechtungen tief in die Verwaltung, die Polizei und die Politik führen, forderte bis heute zehntausende Tote. Im Jahr 2012 war Rodriguez’ Tochter Karen Salinas 2012 entführt worden, ihre Leiche fand sie schließlich zwei Jahre später im Bundesstaat Tamaulipas. In der Stadt San Fernando, die 2010 durch das Massaker an 72 MigrantInnen traurige Berühmtheit erlangt hatte. Mutig führte Martínez ihre Recherchen fort, trotze Morddrohungen, bewirkte die Verhaftung mehrerer Personen, bis sie im Mai 2017 in Ciudad Victoria selbst einem Attentat zum Opfer fiel. Sie wurde ein landesweites Symbol für das Versagen eines ganzen politischen Systems. Weit entfernt von einem funktionierenden Staat ist Libyen, seit dem Sturz von Muammar al-Gaddafi beherrschen Milizen das Land. Die libysche Menschenrechtsanwältin Salwa Bugaighis vertrat schon lange politische Gefangene, engagierte sich für zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen und hatte in ihrer Geburtsstadt Bengasi noch zu Gaddafis Zeiten Demonstrationen organisiert. Nach dessen Sturz 2011 war Bugaighis Mitglied des Nationalen Übergangsrates, trat aber nach wenigen Monaten zurück, weil es keine Frauen in der Regierung und kaum demokratische Standards gab. Im Juni 2014 wurde sie in ihrem Haus erschossen, die Täter und Hintermänner blieben unbekannt. In den Straßen von Bengasi kam es spontan zu Protesten. Einer der schrecklichsten Formen der Gewalt gegen Frauen und Aktivistinnen fiel die Ukrainerin Katja Handsjuk im November 2018 zum Opfer. Die 33-jährige hatte sich als Civil-Rights-Aktivistin gegen Korruption und die Gewalt der Sicherheitskräfte eingesetzt. Sie starb an den Folgen eines Säureattentats, das die Täter für ein paar Hundert Dollar ausgeführt hatten. Die Drahtzieher blieben unbekannt. Noch wenige Wochen vor ihrem Tod hatte Handsjuk auf Social Media gefragt: „Warum ermutigen wir Menschen zu sozialem Engagement, wenn wir sie dann nicht schützen?“ (red)
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