Das wichtigste ist, optimistisch zu sein
„Ich hoffe, dass der Spuk der FPÖ als Regierungspartner für die nächsten zehn bis 20 Jahre Vergangenheit ist“, sagt Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde. Ein Gespräch über die Vielfältigkeit der jüdischen Gemeinde, alten und neuen Antisemitismus und das Verhältnis zur muslimischen Gemeinde. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Interview: Alexander Pollak, Gunnar Landsgesell, Fotos: Karin Wasner
Wie geht es der jüdischen Gemeinde in Wien, insbesondere nach einer Regierung, die sich immer wieder auch von antisemitischen Äußerungen distanzieren musste? Man denke an den Liederbuch-Skandal, an die antisemitische Karikatur auf Straches Facebook-Seite, an die Gerüchte, die über George Soros verbreitet wurden.
Ja schon, man muss sagen, dass Antisemitismus nicht nur in Österreich steigt, sondern in ganz Europa, auch in den USA. Den Vorfällen in der FPÖ wurde nicht so viel Aufmerksamkeit gegeben, als sie in der Opposition war. Sie wurden auch nicht für so gefährlich gehalten. Aber wenn man einen Herbert Kickl im Innenministerium hat, der – zusammen mit dem Justizminister – für die Aufklärung dieser Fälle zuständig ist, dann ist es natürlich eine schwierige Angelegenheit.
Auf welche Weise registrieren Sie steigenden Antisemitismus? Werden Ihnen innerhalb der Gemeinde mehr Vorfälle berichtet?
Das ist eine gute Frage. Wir haben noch immer das Problem, dass es Mitglieder der jüdischen Gemeinde gibt, die antisemitische Vorkommnisse nicht melden. Die Dunkelziffer ist sicher viel höher als das, was wir erfahren. Aber antisemitische Vorfälle haben nicht nur mit der FPÖ zu tun. Es gibt den traditionellen Antisemitismus von rechts, es gibt den der Linken, der oft gegen Israel oder anti-globalistisch ausgerichtet ist, und es gibt den islamischen Antisemitismus. Flüchtlinge, denen das in den arabischen Ländern eingetrichtert wurde, sind ein Thema. Wir erleben aber auch einen relativ neuen Antisemitismus durch muslimische Bürger in der zweiten und dritten Generation. Deren Eltern haben sich stets korrekt verhalten, aber unter dem Einfluss von Erdogan kommt es immer wieder zu Vorfällen, etwa bei Demonstrationen, wo Hakenkreuze zu sehen oder ‚Heil Hitler-Rufe’ zu hören sind. Aus welcher Ecke der Antisemitismus kommt, lässt sich nicht immer eindeutig sagen. Letztlich ist das aber egal für uns.
In Deutschland gab es eine Debatte, ob es ein Risiko ist, auf der Straße mit der Kippa zu gehen. In Österreich gibt es diese Debatte bislang nicht.
Gott sei Dank. Es gibt zwar immer wieder ein paar Vorfälle, aber es ist durch die Kultusgemeinde und von Seiten der Polizei immer sehr viel Personal in den Gegenden anwesend, wo viele Juden wohnen, beten und zur Schule gehen. Dadurch sind sie beschützt, zum Beispiel im Zweiten Bezirk. Das ist heute so und ich hoffe, dass es lange so bleibt und irgendwann kein Schutz mehr nötig ist. Das wäre das Ziel.
Hat sich durch die Flüchtlingsbewegungen der vergangenen Jahre etwas konkret verändert? In der jüdischen Gemeinde gab es die Befürchtung, dass sich etwas verändern würde.
Dieses Mascherl kann ich den Flüchtlingen nicht umhängen, Gott sei Dank. Wenn eine Häuserwand oder ein Grabstein beschmiert wird, kann man das erst dann zuordnen, bis jemand vor Gericht steht. Man sollte Menschengruppen nicht pauschal verdächtigen.
In welche Gesellschaft kommen Geflüchtete in Österreich, findet hier ein Lernprozess statt?
Es wäre wichtig, dass sie hier die Sprache lernen, aber auch die Geschichte des Landes. Der Holocaust ist Teil davon. Ein Besuch in Mauthausen wäre wichtig, aber nicht in der Form, dass man dort hinfährt, ohne vorher und nachher etwas darüber zu hören. Da muss der Staat Geld in die Hand nehmen und die Leute vorbereiten auf das, was sie in Mauthausen sehen werden.
Was können Initiativen wie Shalom aleikum, wo Leute aus der jüdischen Gemeinde geflüchtete Menschen begleiten und unterstützen, bewirken?
Initiativen wie Shalom aleikum sind einmalig. Wir sind wenige Juden in Österreich und entsprechend wenige, die auf diese Weise mithelfen. Also, Kol Hakawot, meine Hochachtung, dass sie das von Anfang an, als die Flüchtlinge gekommen sind, machen.
Es gibt rund 8.000 eingetragene Mitglieder der IKG Wien, wenn alle 8.000 mit den 1,3 Millionen Wählern der FPÖ reden würden, würde es sehr lange dauern, bis sich die alle kennengelernt haben. Oder wenn sie mit allen 600.000 bis 800.000 Muslimen in Österreich reden würden, würde das auch lange dauern. Es ist ja auch nicht so, dass alle FPÖ-Wähler und alle Muslime Antisemiten sind. Ganz und gar nicht. Und Antisemiten gibt es auch anderswo. Juden selbst können Antisemitismus nicht bekämpfen, wir können uns aber wehren. Es gibt Projekte, wo zum Beispiel jüdische Jugendliche mit anderen Jugendlichen reden, durch die Begegnung kann man viel schaffen. Aber wir sind eben nur wenige.
Von der Muslimischen Jugend gab es eine Initiative gegen Antisemitismus. Es gab eine Ausstellung am Ring, die teils zerstört wurde und wo muslimische Jugendliche geholfen haben, sie zu reparieren und zu bewachen. Sind das Signale mit guter Wirkung?
Ich hoffe sehr, dass das Vorbildwirkung für die gesamte muslimische Jugend in Österreich hat. Sie haben sich immerhin 1,5 Jahre mit Antisemitismus auseinandergesetzt, waren mit der Antisemitismus-Beauftragten der EU, Katharina von Schnurbein, eng in Kontakt. Sie haben das vor einigen Monaten sehr schön im Europahaus in der Wipplingerstraße präsentiert, ich war auch dort. Den Worten müssen nun aber Taten folgen.
Wie würden Sie das Verhältnis zur Islamischen Glaubensgemeinschaft beurteilen?
Der neue Präsident hat die IHRA-Antisemitismusdefinition für die Islamische Glaubensgemeinschaft angenommen. Das ist ihm hoch anzurechnen. Aber auch hier müssen den Worten Taten folgen.
Gibt es Kontakte, strategische Zusammenarbeit?
Wir haben gemeinsame Interessen, wenn es um ein Schächtungs- oder Beschneidungsverbot geht. Da sind wir in Kontakt mit der IGGIÖ. Wir diskutieren über diese Themen und auch über Fragen der Religionsfreiheit oder Zusammenlebens. Natürlich sind wir nicht in allen Dingen der gleichen Meinung. Die IKG drückt ihre Bedenken stets offen aus und die neue Führung der IGGÖ nimmt diese auch auf.
Wie nehmen Sie wahr, dass die Regierung sich von Antisemitismus distanziert hat, aber zugleich neue Feindbilder entdeckt wurden, zum Beispiel Muslime? Man verurteilt Antisemitismus und führt zugleich Kampagnen gegen Muslime.
Das mit der Distanzierung von Antisemitismus sehe ich differenzierter. Auch wenn Herr Strache einige Male versucht hat, sich vom Antisemitismus zu entsagen, ist das bei 70 sogenannten Einzelfällen nicht glaubhaft. Wir Juden sind überall eine Minderheit, und wenn sich die FPÖ gegen Muslime gewandt hat dann ist das genauso zu verurteilen, wie wenn sie gegen uns vorgeht. Aber vergessen wir nicht, dass sich die FPÖ auch schon vorher antisemitisch geäußert hat. Strache hat Yad Vashem besucht, bevor er Vize-Kanzler war, aber er hat sich dort keine Kippa aufgesetzt, wie das die meisten nicht-jüdischen Gäste tun. Sondern er hat sein Burschenschafter-Kapperl aufgesetzt, um zu zeigen: Ich bin zwar in Yad Vashem und gedenke der Opfer, aber in erster Linie bin ich den deutschnationalen Burschenschaftern treu und habe mich nicht verändert. Also das haben wir ihm nie geglaubt. Und ich bin auch stolz, dass der Kultusrat, also die oberste Instanz der Kultusgemeinde, einstimmig beschlossen hat, dass es keine Kontakt zur Regierungspartei FPÖ gegen soll. Und ich bin auch stolz, dass wir eineinhalb Jahre bis zur Auflösung dieser Regierung durchgehalten haben. Das ist für eine Gemeinde nicht so selbstverständlich.
Würde das auch für eine Regierung mit Norbert Hofer gelten?
Ob Strache der Parteivorsitzende war oder Hofer das nun ist oder sonst jemand, das ändert überhaupt nichts. Es ist die Partei der Burschenschaften. Die sind das Kernproblem. Ich hoffe, dass der Spuk der FPÖ als Regierungspartner für die nächsten zehn bis 20 Jahre Vergangenheit ist. Als Präsident der Kultusgemeinde habe ich gelernt: Das wichtigste, was ich tun muss, ist, optimistisch zu sein. Sonst würde man verzweifeln. Unsere Haltung hat nie etwas mit der Person von Heinz-Christian Strache zu tun gehabt. Er kommt in unserem Beschluss auch nicht vor. Wir alle kennen die FPÖ. Wir brauchen auch keinen Historikerbericht. Das ist ein strukturelles Problem. Auch in anderen Parteien gab es antisemitische Vorfälle, aber dann wurde die Konsequenz gezogen. Das war nicht Mainstream der Partei. Hier sind es permanente Einzelfälle. Kann sich die FPÖ ändern? Jede Partei, jeder Mensch kann sich ändern. Es gab auch die Versuche von Jörg Haider, sich mit dem BZÖ zu ändern. Aber mit den Leuten, die die FPÖ derzeit führen und mit den Leuten, die zurzeit im Nationalrat sitzen, kann ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen.
Noch vor einigen Jahrzehnten war Österreich noch hauptsächlich katholisch, heute gibt es sehr viele nichtkonfessionelle Menschen, es gibt mehr Christlich-Orthodoxe, mehr Muslime. Die Verhältnisse haben sich verändert. Was bräuchte es, dass das Zusammenleben gut funktioniert?
Ich glaube, dass der Staat nicht so schlecht funktioniert. Österreich ist ein wunderbarer Staat, der wie andere Staaten auch seine Probleme hat. Das ist überall dort völlig normal, wo Menschen verschiedener Konfessionen zusammenkommen.
Für Diskussionen sorgt zum Beispiel die Frage, ob es gemeinsame Rituale für alle braucht, etwa das Händeschütteln. Das betrifft auch orthodoxe Juden.
Aber so sind sie erzogen, so sieht das die Religion vor und allen voran geht es dabei um den Respekt vor der eigenen Ehefrau oder dem Ehemann. Das sollte man auch respektieren, und niemand trägt einen Schaden davon. Wenn man im Zweiten Bezirk spazieren geht und ein Mann einer Frau nicht die Hand gibt, ist das doch auch kein großes Problem. Wir sollten uns nicht künstlich Probleme suchen. Ich bin zwar auch ein Mensch, der auch in der Kultusgemeinde versucht, seine Nase in alle Dinge hineinzustecken. Aber ich habe auch gelernt, dass es manchmal besser ist, einfach weiterzugehen. Jede Religionsausübung ist zu respektieren, sofern es von der Religion gedeckt ist.
Die jüdische Gemeinde ist sehr vielfältig, ist das Zusammenleben zwischen orthodoxen und nichtorthodoxen Juden und hier aufgewachsenen und nicht hier aufgewachsenen Juden ein Thema?
Also das Leben zwischen Orthodoxen und weniger Orthodoxen ist kein großes Thema. Aber wir haben es in Wien mit einer Gemeinde zu tun, in der viele Leute nicht in Österreich geboren sind. Mein Vater und dessen Eltern kamen aus Klausenburg, Rumänien, meine Mutter kommt aus Lemberg. So gibt es viele Leute, die aus der ehemaligen Sowjetunion kommen. Da gibt es schon Diskussionen über verschiedene Bräuche.
Wie löst man diese Dinge?
Demokratisch. Unter Bruno Kreisky sind viele Leute über Schönau hierhergekommen, einige sind hiergeblieben, viele weiter nach Israel gegangen oder auch später wieder hierhergekommen. Viele von ihnen sind bucharische Juden. Wir haben sie stark integriert, ein sephardisches Zentrum gebaut, und viele sind ein fester Bestandteil der Gemeinde geworden. Sie sind in der Gastronomie sehr aktiv und ihre Kinder besuchen gemeinsam mit den aschkenasischen Kindern die Schule. Für uns gilt: Jeder Jude, der in Wien lebt ist ein Wiener Jude. Natürlich gibt es Auffassungsunterschiede, etwa beim Schächten. Sie schächten andere Teile des Tieres als wir Aschkenasim das tun. Trotzdem gehen viele Leute, die koscher essen wollen, in Restaurants ehemaliger Bucharen, die sind inzwischen ja alle Österreicher. Funktionieren die Dinge zu hundert Prozent? Nein, aber das ist halt so, wenn du zwei Juden hast, hast du zumindest drei Meinungen. Jeder Jude, der sagt, er geht in eine Synagoge, hat zugleich eine zweite Synagoge, in die er nicht hingeht. So ist das bei uns. Deshalb möchte ich nochmal den Beschluss des Kultusrates hervorheben, FPÖ-Funktionäre nicht zu treffen. Das wurde einstimmig beschlossen, egal ob Aschkenasim oder Sephardim, Gläubige oder Säkulare.
Zur Person: Oskar Deutsch ist seit 2012 Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien sowie des Bundesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden Österreichs. Er studierte an der WU Wien. 1997 war er gemeinsam mit Ariel Muzicant Mitbegründer der Wahlliste Atid („Jüdische Zukunft“).
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