Türen des Hasses wieder schließen
Der auch nach Österreich ausstrahlende Nahostkonflikt zeigt, wie schnell sich die Türen zu einer explosiven Stimmung öffnen können. Wie kriegen wir diese Türen wieder zu?
Text: Alexander Pollak.
Ein Beitrag im neuen MO - Magazin für Menschenrechte.
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Der Nahostkonflikt lädt wie kaum ein anderer internationaler Konflikt dazu ein, sich zu identifizieren, nicht nur ein bisschen, sondern sehr stark, im Extremfall sogar total. Totale Identifikation bedeutet, dass man alle anderen Perspektiven komplett ausblendet, dass man nur noch Meinungen und Informationen aufnimmt, die die eigene Perspektive stützen und diese immer weiter verstärken und verengen.
Totale Identifikation verunmöglicht das Verstehen. Verstehen etwa, dass es sowohl Leute gibt, die mit einer palästinensischen Flagge Hoffnung, Selbstbestimmung und Solidarität verbinden, als auch Leute, die die gleiche Flagge als Symbol für mörderischen Terrorismus und Vernichtungswünsche gegen Israel sehen. Verstehen, dass die israelische Flagge von den einen als Symbol des Überlebens von Juden und für den demokratischsten Staat im Nahen Osten gelesen wird, und von anderen als Symbol von Unterdrückungsherrschaft und von Bombardierungen mit vielen zivilen Opfern.
Unterschiedliche Lesarten und Perspektiven zu kennen und zu verstehen, ist wichtig, um Eskalation zu verhindern. Zwar sind die Menschen, die zu einer radikalen Form der totalen Identifikation neigen, in der Minderheit, aber von ihnen geht eine zweifache Gefahr aus: Dass sie andere mitreißen, weil sie einfordern, dass man sich auf eine Seite stellt, und nur auf eine Seite. Und dass, wenn sich ihre totale Identifikation mit einem Gefühl der Marginalisierung und der Ohnmacht verbindet, sie versucht sein können, sich durch gewalttätige Übergriffe Momente des Machtgefühls verschaffen zu wollen.
Wie also soll eine demokratische Gesellschaft mit einer hochemotionalen Stimmungslage und ihren Gefahren umgehen? Demokratien sind nur dann Demokratien, wenn sie unterschiedlichen Perspektiven Raum geben, auch dann, wenn es sich um die Perspektiven von Minderheiten handelt, auch dann, wenn es umstrittene Perspektiven sind. Demokratien können aber nur dann Demokratien bleiben, wenn sie klare rote Eskalations-Linien markieren, die niemals überschritten werden dürfen.
Das Bejubeln von Massakern an der Zivilbevölkerung ist eine rote Linie. Das Aufstacheln zu Hass ist eine rote Linie. Das kollektive Brandmarken von Menschen als Feindbilder auf Basis ihrer Herkunft oder Religionszugehörigkeit ist eine rote Linie. Und jegliche Form von Aufforderung zu Übergriffen oder deren Durchführung sind dunkelrote Linien, gegen die sich eine Demokratie vehement wehren muss.
Der rapide Anstieg an dokumentierten antisemitischen und rassistischen Vorfällen in Österreich in den vergangenen Wochen muss alle Alarmsirenen schrillen lassen. Es müssen konkrete Maßnahmen ergriffen werden. Von Seiten der Sicherheitsbehörden. Aber auch in Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen, in denen Verstehen gefördert und Hass geächtet werden kann und soll.
Darüber hinaus muss die ausufernde Hasspropaganda in sozialen Netzwerken bekämpft werden. Als einen Schritt könnte die Bundesregierung Gelder zur Verfügung stellen, damit sich mehrere seriöse Medien zusammenschließen können, um gemeinsam ein mehrsprachiges Social Media-Projekt auf Kanälen wie TikTok und Instagram zu starten, damit hochemotionale Geschehnisse aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und erklärt werden. Es braucht dringend Konkurrenz zu den Influencer:innen, die Fake News- und Hasspropaganda streuen.
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