Dann müssten wir auch den Steirerhutregeln
Ein ÖVP-Politiker will, dass ihm alle Frauen die Hände schütteln, eine Staatssekretärin spricht von Staatsbürgerschaft als „Krönung“. Migrationsforscher Bernhard Perchinig über die Tücken eines Integrationsprozesses. Interview: Gerfried Balzer, Bild: Bernhard Kummer
MOMENT Herr Perchinig, Integration erfreut sich seit einiger Zeit als bunter Forderungskatalog der Politik an Zuwanderer höchster Beliebtheit.
Gibt es tatsächlich eine Bringschuld von MigrantInnen?
BP Falls Sie auf die veränderte Bedeutung des Integrationsbegriffs anspielen, so haben wir tatsächlich in den vergangenen Jahren eine Verschiebung erlebt: weg von den Rechten von MigrantInnen hin zu sogenannten Pflichten.
Prinzipiell kann ein Staat als Bringschuld verlangen, dass man sich an die Regeln und Gesetze hält. Das ist es auch schon, was ein Rechtsstaat fordern kann. Aber das gilt ja für alle.
MOMENT Wäre der deutsche Spracherwerb auch so eine Bringschuld?
BP Wenn man eine Bringschuld des Spracherwerbs formuliert, wie er ja zum Teil schon gesetzlich festgelegt ist, dann muss das vom Gleichheitsgedanken ausgehend passieren. Es wäre dann die Verpflichtung jedes in Österreich lebenden Menschen, die deutsche Sprache zu beherrschen. Pragmatisch gesehen ist der Spracherwerb natürlich zentral für sozialen Aufstieg und politische Partizipation. Deutsch als Verpflichtung normativ abzuleiten halte ich aber für problematisch. Ich bin dafür, starke Anreize zu schaffen.
MOMENT Anreize zu schaffen wäre Aufgabe des Staates. Hat denn der Staat außerhalb des rechtsstaatlichen Bereiches, wo nunmehr Formen von Zwang eingefordert werden, auch eine Bringschuld?
BP Die gibt es sicherlich. Der Staat muss ein Angebot schaffen, um Spracherwerb zu unterstützen. Schon allein deshalb, weil Einwanderung von staatlichen Strukturen gestartet wurde. Skeptisch bin ich bei Argumenten mit Verpflichtungscharakter außerhalb der rechtsstaatlichen Normen. Definiert sich eine Gesellschaft sehr stark über Sprache, dann zieht sie bedenkliche Grenzen hoch.
MOMENT Von der Sprache ist man schnell bei der Kultur. Zuweilen scheint es, als stünden MigrantInnen unter Generalverdacht – des Machismo, verordneter Kopftücher, der Zwangsheirat. Wie können sie beweisen, dass sie sich an Gesetze halten?
BP Gar nicht. In einem rechtsstaatlichen System beweist das Gericht, dass sich jemand eben nicht an Gesetze gehalten hat. Interessant wird es in jenen Bereichen, in denen sich Rechtstaatlichkeit und Privatleben überschneiden, beispielsweise im Familienrecht. In Österreich haben wir in den vergangenen 30 Jahren eine ganz massive Verrechtlichung dieses Bereichs und eine Stärkung der Kinder- und Frauenrechte erlebt. Auch die Definition der Zwangsehe als Offizialdelikt gehört zur diesem Verrechtlichungstrend, das war für mich eine der ganz wenigen wirklich richtigen Entscheidungen der Politik der vergangenen Jahre.
MOMENT Bleiben wir noch beim Verrechtlichen: ÖVP-Generalsekretär Hannes Missethon beschwerte sich, dass ihm eine gläubige Frau nicht die Hand geschüttelt und in die Augen geschaut hat. Ließe sich Händeschütteln rechtlich verordnen?
BP Wenn Herr Missethon sagt, er fühlt sich nicht wohl, wenn er nicht die Hand geben kann, kann ich das nachvollziehen. Ich hatte einmal so einen Fall mit einer Studentin und habe mich dabei auch nicht wohl gefühlt. Aber wenn Missethon das durchsetzen will, dann muss er den Rechtsweg gehen, dann muss es ein Gesetz über die in Österreich erlaubten Grußformen geben. Damit kommen wir in der aktuellen Debatte aber zu einer grundsätzlichen Frage: Wie frei soll unsere Gesellschaft sein, bzw. wie viele Bereiche will ich verrechtlichen? Würden wir Kleidungsvorschriften einführen, könnten wir natürlich nicht nur das Kopftuch regeln. Dann müssten wir die Kippa regeln, den Steirerhut.
Ich muss immer auf dem Gleichheitsgrundsatz beharren. Das ist aber eine Frage, die über den Bewusstseinsstand der Gesellschaft gelöst werden sollte. Unlängst hat Staatssekretärin Christine Marek ein Integrationskonzept präsentiert, als dessen „Krönung“ sie die Staatsbürgerschaft bezeichnet hat. Wie sehen Sie das? Das klingt nach einem Kind, das in die Schule geht, lernen muss und dann maturiert. Dann macht es die Staatsbürgerschaft und ist reif. Das klingt nach einer sehr statischen Gesellschaft.
MOMENT Das heißt?
BP Dass ich diese Vorstellung nicht für so klug halte, weil man damit die politische Teilhabe weit weg von der sozialen Teilhabe bringt. Die derzeitige Diskussion erleben wir ja gerade auch deshalb, weil im politischen Bereich nicht jener Grad an Gleichstellung erreicht wurde, wie er im sozialrechtlichen Bereich für langansässige MigrantInnen durch die EU-Richtlinien in den vergangenen Jahren erwirkt wurde.
Politisch gesehen bleibt der „Ausländerstatus“ der Leute relativ aufrecht. Insofern stellt sich die Frage, ob man wirklich politische Partizipation als Endpunkt der Integration setzen will. Die EU ist von so einer Politik bereits abgegangen und forciert rechtliche Gleichstellung auch ohne Staatsbürgerschaft. Die Welt ist in Bewegung. Millionen von MigrantInnen wechseln in ihrem Leben ganz selbstverständlich den Lebensmittelpunkt.
Moment Staatssekretärin Marek sieht die Staatsbürgerschaft „als Krönung“ eines erfolgreichen Integrationsprozesses.
BP Manchmal offenbaren PolitikerInnen ihr inhaltliches Verständnis in derart trefflichen Bildern, dass kein noch so ambitioniertes Grundsatzpapier das besser leisten könnte. Als Staatssekretärin Christine Marek in der Tageszeitung „Österreich“ das Integrationskonzept ihrer Partei vorstellte, hatte sie bereits die Schlusspointe einer „gelungenen“ Integration vor Augen: „...und als Krönung die Staatsbürgerschaft“. ZuwanderInnen werden also fürs Bravsein als Schlusspointe politische Rechte eingeräumt.
Ein Zugang, den Marek gemeinsam mit Innenminister Günther Platter entwickelt hatte. Migrationsforscher Perchinig erinnert das an den Umgang mit einem Kind: es geht zur Schule, bis es als „reif“ empfunden wird. Demokratiepolitisch hält Migrationsforscher Perchinig die Verknüpfung von Integration und Staatsbürgerschaft freilich für „nicht so klug“: Während ZuwanderInnen sozialrechtlich praktisch gleichgestellt sind, sind sie „politisch weitgehend rechtlos“. „Die EU“, wirft Perchinig ein, „ist von so einer Politik bereits abgegangen und forciert rechtliche Gleichstellung auch ohne Staatsbürgerschaft.“
MOMENT Handelt sich Marek mit diesem Integrationsbegriff nicht auch ein demokratiepolitisches Problem ein? Immerhin kann dann eine große Anzahl von EinwohnerInnen nicht mitbestimmen.
BP Natürlich. Sozialrechtlich praktisch gleichgestellt, sind sie politisch weitgehend rechtlos. Das Problem liegt aber auch darin, dass der Transmissionsmechanismus noch immer das Wahlrecht ist. Das heißt, Anliegen bestimmter Gruppen werden nur ernst genommen, wenn sie WählerInnenpotential haben.
MOMENT Was schlagen Sie vor?
BP Eine rasche politische Vergemeinschaftung. Damit ließe sich auch normativ viel klarer argumentieren: es ist leichter, von jemand etwas zu verlangen, wenn auch Mitbestimmung vorhanden ist.
MOMENT Was halten Sie von der Idee der Residenzbürgerschaft? Damit könnte jede/r in unserer mobilen Welt dort wählen, wo sie oder er gerade seinen Lebensmittelpunkt hat.
BP In einer Demokratie sollten die Menschen, die von den Gesetzen betroffen sind, über diese auch bestimmen. Das setzt allerdings relevante Bezüge zum jeweiligen Land voraus, wie etwa einen längerfristigen Aufenthalt oder zumindest den Lebensmittelpunkt, z.B. für das kommunale Wahlrecht, wie es für UnionsbürgerInnen gilt. Wenn ich allerdings völlig unabhängig vom Territorium überall ein Wahlrecht vergebe, wo sich jemand gerade z.B. als Tourist aufhält, breche ich auch diesen Feedback-Mechanismus.
MOMENT Wie lange sollte jemand im Land sein, um Feedback zu gewährleisten?
BP Hier könnte man differenzieren – etwa kommunales Wahlrecht bei Hauptsitznahme wie für UnionsbürgerInnen, Wahlrecht für die Landesebene nach einer bestimmten Aufenthaltsdauer. Sieht man sich die kürzesten Wartefristen für die Einbürgerung an - die liegen bei zwei bis drei Jahren weltweit -, dann wäre diese etwa bei zumindest zwei Jahren. Ein allgemeines Wahlrecht für Nicht-EU-AusländerInnen ist in Europa kaum realistisch; in Neuseeland existiert es, ohne dass es Konflikte ausgelöst hat.
MOMENT In Österreich wird Integration oft als enge kulturelle Vorgabe, als Anpassungsdruck, formuliert. Warum beherrscht man hier vor allem die Sprache der Assimilation so gut?
BP Kulturelle Integration heißt sicherlich auch, dass die eingeborene Bevölkerung lernen muss, Vielfalt zu akzeptieren.Die österreichische Bevölkerung ist zum Beispiel sehr schlecht vorbereitet auf eine globalisierte Welt, weil sie sehr lange darüber nicht diskutiert hat. Das führt wiederum dazu, dass sich Menschen in der Straßenbahn darüber aufregen, wenn nicht Deutsch gesprochen wird. Ich denke, in einer Großstadt ist das zu akzeptieren. Und wenn die Leute Kopftuch tragen, geht das niemanden etwas an.
MOMENT In solchen Fällen heißt es, man muss den Menschen die Ängste nehmen...
BP Vor allem muss man die Bevölkerung an geltende Gesetze erinnern. Lassen Sie mich ein sehr zugespitztes Beispiel nennen, das vor kurzem diskutiert wurde. Angenommen, eine islamische Gemeinde kauft sich ein Grundstück neben dem Stephansdom und baut dort eine Moschee. Wenn das Ganze den Baugesetzen entspricht, ist dagegen meiner Meinung nach nichts einzuwenden. Es würde aber eine enorme Diskussion vom Zaun brechen, die nichts nützt.
Will man so eine Moschee verhindern, müsste man ein allgemeines Bauverbot von religiösen Bauten mit spitzen Türmen im ersten Bezirk erlassen. Das darf nicht auf eine Gruppe abzielen, sondern muss allgemein gelten. Dann gäbe es allerdings auch keinen Steffl.
Bernhard Perchinig ist Migrations- und Integrationsforscher im Institute for Urban and Regional Studies an der Akademie der Wissenschaften.
Gerfried Balzer arbeitet als freie Journalisten in Wien.