Wir Haben Auch Angst
Mihrican Topal und Ibrahim Yavuz vom neu gegründeten „Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft“ erleben vermehrt Alltagsdiskriminierung sowie mangelnden Rückhalt der Politik. Sie glauben: Wenn Sebastian Kurz und andere PolitikerInnen von Strafmaßnahmen bei „Integrationsunwilligkeit“ reden, brauchen wir keine PEGIDA. | Interview: Clara Akinyosoye
In den vergangenen Monaten gab es Attacken auf Frauen mit Kopftuch, Moscheen wurden beschmiert und Schweineköpfe dort abgelegt. Kann man sich als MuslimIn in Österreich noch sicher fühlen?
Yavuz: Die Atmosphäre ist angespannt, und die Situation verschärft sich immer mehr. Kopftuchtragende muslimische Frauen sind in erster Linie von Attacken betroffen. Sie werden schnell als Musliminnen wahrgenommen.
Topal: Es gibt ein berechtigtes Unwohlsein. Die Attacken zeigen, dass es ein gewisses Sicherheitsrisiko gibt. Muslimische Frauen überlegen sich fünf Mal, ob sie in der Dunkelheit noch einmal rausgehen. Sie fühlen sich sicherer, wenn sie mit Begleitung nach Hause gehen. Wir haben noch keine bürgerkriegsähnlichen Zustände, aber vor einem Dreivierteljahr war es wesentlich sicherer.
Herr Yavuz, Sie kommen aus Deutschland, einem Land, in dem PEGIDA seinen Anfang genommen hat. Ist das Klima für MuslimInnen dort besser oder schlechter?
Yavuz: Es ist tragisch zu sehen, dass sich sowas wie PEGIDA in Deutschland entwickelt hat. Mittlerweile glaube ich aber, dass die Situation dort angenehmer ist als in Österreich. In Deutschland bekennt sich auch die Regierung dazu, dass MuslimInnen zu Deutschland gehören. Da kann sich Österreich politisch gesehen etwas abschauen.
Kanzlerin Angela Merkel, auch Innenminister Thomas de Maizière sagten ganz klar: Der Islam gehört zu Deutschland. Und in Österreich?
Topal: Es hätte mich gefreut, wenn Werner Faymann das ohne zu zögern gesagt hätte. In Deutschland ist die Situation anders: PEGIDA ist eine Bürgerbewegung. In Österreich mobilisieren sie nur wenige Leute. Wozu auf die Straße gehen, wenn ich es auf meinem Wahlzettel auch sagen kann? Wenn Sebastian Kurz und andere PolitikerInnen von Strafmaßnahmen bei Integrationsunwilligkeit reden, brauchen wir keine PEGIDA.
Wie stark ist die Alltagsdiskriminierung, mit der MuslimInnen in Österreich konfrontiert sind?
Topal: Frauen werden oft diskriminiert, Menschen gehen davon aus, sie könnten kein Deutsch, und schreien sie einfach an. In der U-Bahn passiert viel, obwohl dort immer viele Menschen sind. So weit ist es schon, dass man sich nicht mehr geniert, jemanden in der Menge anzuschreien. Wir hören aber auch viel über physische Angriffe – auch am helllichten Tag. Am Arbeitsmarkt hat man mit Kopftuch viel weniger Chancen. Da wäre der Integrationsminister, wenn er nicht gerade mit dem Ausland beschäftigt ist, gefragt, eine Initiative zu starten.
Yavuz: Das kann bei MuslimInnen auch zu Ehrgeiz führen und dazu, dass sie noch ein Studium anhängen. Aber leider sieht man schon seit Langem die Entwicklung, dass auch junge Menschen frustriert sind und daran denken, wegzuziehen. Raus aus Österreich, aber auch raus aus Europa. Langfristig gedacht schadet das Österreich.
Als Sebastian Kurz vor vier Jahren Integrationsstaatssekretär wurde, gab es anfänglich viel Kritik, danach mehrheitlich Lob – auch von jungen MuslimInnen. Jetzt hört man wieder kritische Töne. Was hat sich für Euch seit der Islamgesetz-Debatte geändert?
Topal: Ich habe zu einer Minderheit gehört, die von Anfang an sehr kritisch war. Ich habe es aber schon als einen kleinen Sprung empfunden, als er gesagt hat, man könne ÖsterreicherIn und muslimisch sein – ein Novum in der österreichischen Politik. Ich sehe aber eine Enttäuschung in der muslimischen Community. Man hat ihn als einen Freund empfunden. Er war ja auch da, er war in den Moscheen; es war ein natürliches Miteinander. Mit dem Islamgesetz und den jüngsten Sagern hat er für viel Irritation gesorgt.
Man hat das Gefühl, die Fronten sind so verhärtet, dass es zu einem Bruch zwischen MuslimInnen und Regierung gekommen ist.
Yavuz: Kurz hat sein großes Misstrauen gegenüber den MuslimInnen ausgesprochen. Die Meinung der MuslimInnen zum Islamgesetz war relativ irrelevant für ihn. Das Gesetz wird durchgeboxt. Es wird bestimmt AkteurInnen geben, die demnächst wieder kooperieren werden. Aber wenn so ein Misstrauen da ist, kann man nicht sagen: Schwamm drüber.
Topal: Da muss man zwischen Basis und EntscheidungsträgerInnen unterscheiden. Die Basis ist sehr enttäuscht. Ich sehe ein Aufwachen. Man sieht, er ist doch nicht unser Freund. Er hat uns immer schön angelächelt, aber ja ... Als wir ihn gefragt haben, was passiert, wenn MuslimInnen angegriffen werden, war viel Zurückhaltung. Und damit hat er schon verloren.
Seit den Attentaten von Paris mehren sich Schlagzeilen, in denen der Islam mit Gewalt in Verbindung gebracht, mitunter auch gleichgesetzt wird. Wie nehmt ihr das wahr?
Yavuz: Ich sehe keine Differenziertheit in der österreichischen Gesellschaft. In den Mainstream-Zeitungen werden Islamismus oder Terrorismus einfach unter Islam zusammengefasst.
Topal: Das ist verantwortungslos. Vor allem von jenen Medien, die nach „Charlie Hebdo“ Aufklärung und Menschenrechte skandiert haben. Es gehört nicht zu den Werten der Aufklärung, zu hetzen. Es ist eine Perversion im Namen der Meinungsfreiheit Menschen aufeinander zu hetzen. Das geht so weit, dass MuslimInnen im persönlichen Diskurs nichts mehr geglaubt wird. Es ist so, als würden alle Muslima anstreben – wie die Medien es nennen –, „Dschihad-Bräute“ zu werden.
Yavuz: Es schwingt oft mit, dass wir eh gut damit leben können, was passiert ist. Das stimmt aber nicht! Wenn die Bevölkerung Angst hat, heißt das ja nicht, dass wir keine Angst haben. Es sind zum Beispiel in Deutschland und Schweden Moscheen abgebrannt, und trotzdem ist die Berichterstattung darüber nicht nennenswert.
Topal: Natürlich haben wir auch Angst. Nehmen wir an, die ISIS wäre hier, ich wäre die Erste, die geköpft würde. Es wird nicht berichtet, dass MuslimInnen eigentlich die ersten und größten Opfer sind. Über ein Jahr haben Muslime jeden Sonntag am Stephansplatz gegen den Syrien-Krieg demonstriert, das hat niemanden interessiert. Und jetzt werden Vorwürfe laut: Ihr demonstriert nicht, ihr distanziert euch nicht.
Durch den IS-Terror stehen auch MuslimInnen hierzulande vermehrt im Blickpunkt. Wie massiv hat sich der Erklärungsdruck verstärkt?
Topal: Zu 150 Prozent. Der Generalverdacht in der Schule ist noch stärker zu spüren, berichten uns LehrerInnen im Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft.
Yavuz: Innermuslimisch wird viel darüber diskutiert, was man dagegen machen kann. MuslimInnen werden politischer. Das waren sie davor überhaupt nicht. Das ist jedenfalls eine positive Entwicklung. Wir haben uns im Netzwerk überlegt, ob wir nicht Selbstverteidigungskurse organisieren sollten, vor allem für muslimische Frauen.
Habt ihr das Gefühl, ihr müsst den Leuten die Angst vor MuslimInnen nehmen?
Topal: Nein. Wie auch? Es sollte weniger über den Islam geredet werden. Für mich ist der Islam eine Lebensquelle. Der Islam ist eine ganz normale Religion. Ich glaube nicht, dass wir noch mehr aufklären müssen. Das Verhältnis muss endlich normalisiert werden.
Yavuz: Viele muslimische Jugendliche teilen sich selbst so eine Aufgabe zu. Man erklärt es ja gern, wenn man mit Freunden zusammensitzt, solange man das Gefühl hat, diese Person fragt aus Neugier. Aber nicht, wenn man in eine Verhörsituation kommt. Es muss aber nicht immer darum gehen, dass ich Muslim bin. Es ist irgendwie auch beschämend, wenn eine Mathematiklehrerin nicht als Lehrerin wahrgenommen wird, sondern „nur“ als Muslimin.
Topal: Die schlimmste Form des Generalverdachts ist, dass dir deine Persönlichkeit abgesprochen wird; als würden sich 500.000 MuslimInnen in Österreich in keiner einzigen Eigenschaft voneinander unterscheiden.
Mehr als 150 Menschen aus Österreich haben sich der IS angeschlossen – für viele Menschen ein Zeichen gescheiterter Integration. Welche Bedeutung haben diese jungen MuslimInnen für euch?
Topal: Es ist um jeden Jugendlichen schlimm. Das Leben dieser Menschen ist verloren. Was machen wir falsch, dass Menschen in Europa so verzweifelt sind? Ich sehe das nicht als ein österreichisches oder islamisches, sondern als ein gesamtgesellschaftliches, europäisches Problem. Yavuz: Es wäre in solchen Situationen, wo Minderheiten unter Druck gesetzt werden, außerdem klüger, die Minderheiten in Schutz zu nehmen, als zusätzlichen politischen Druck aufzubauen. Die Energie, die etwa in die Diskussion des Islamgesetzes investiert wird, könnte für die Vorbeugung und Präventivarbeit verwendet werden. Es gibt soziale Ungerechtigkeit, Probleme mit dem sozialen Aufstieg, Frust und Elend. Gesamtgesellschaftliche Problematiken wie die Alterung der Bevölkerung oder Arbeitslosigkeit werden gerne auf Minderheiten projiziert.
MuslimInnen wird mitunter vorgeworfen, sie würden sich in der Opferrolle gefallen. Gibt es von Seiten der MuslimInnen zu wenig Selbstkritik?
Topal: Es wird viel diskutiert und reflektiert. Die theologischen Diskussionen sind facettenreich. Die anderen kriegen das nicht mit, weil sie nicht bei uns sind. Es muss aber auch ok sein, wenn das intern bleibt. Wer, wenn nicht MuslimInnen, soll denn entscheiden, was der Islam ist und was nicht?
Yavuz: Innermuslimisch wird viel diskutiert. Das Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft ist gegründet worden, weil das Islamgesetz von den politischen EntscheidungsträgerInnen und muslimischen VertreterInnen über die Köpfe der Menschen hinweg entschieden wurde. Wir haben das sehr stark kritisiert. Natürlich war das unerwünscht von der politischen Führung der Muslime, aber sie müssen endlich lernen damit umzugehen.
Topal: Wenn kopftuchtragende Musliminnen angegriffen werden und sie davon berichten, dann ist das keine Opferrolle, in der sie sich wohl fühlen und sich ausruhen. Man muss Probleme aussprechen, um sie zu lösen. Das weiß jedes Ehepaar.
Yavuz: Oft werden dann auch Staaten wie Saudi-Arabien zum Thema gemacht. Dort haben Andersgläubige gar keine Rechte, also sollen wir froh sein, dass wir ein paar Rechte haben. Und man schämt sich nicht mal, solche Vergleiche anzustellen. Wo wollen wir uns denn hin entwickeln?
Topal: Der Gesellschaft ist nicht bewusst, was sie einem einzelnen Menschen aufbürdet. Du musst die 1.400-jährige Islamgeschichte rechtfertigen. Es gibt über 50 islamische Länder auf diesem Planeten, für alle bist du verantwortlich. Ein ehrlicher Diskurs fehlt, denn man weiß, dass die meisten MuslimInnen ein Problem mit den Wahhabiten haben und traurig darüber sind, dass die heiligsten Städte von den Saudis verwaltet werden. Ich lebe in Österreich. Also reden wir nicht über Saudi-Arabien. Reden wir bitte über die Hypo.
Zur Person
Mihrican Topal
Mihrican Topal, 27, ist diplomierte Wirtschaftstreuhand-Assistentin. Die Wienerin ist seit der Gründung Ende 2014 im Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft engagiert.
Zur Person
Ibrahim Yavuz
Ibrahim Yavuz, 25, in Hanau bei Frankfurt/Main geboren, ist Master-Student der Orientalistik an der Uni Wien und Mitinitiator des „Netzwerks Muslimische Zivilgesellschaft“. Das Netzwerk ist ein loser Verband von MuslimInnen unterschiedlicher islamischer Konfessionen.
Kurz vor Redaktionsschluss kündigte das Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft eine Verfassungsklage gegen das Islamgesetz an – und die Bereitschaft, bis zum Europäischen Gerichtshof zu gehen. Mehr Infos unter: www.dieanderen.net
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