Unter Druck: Muslime in Österreich
Die Novellierung des Islamgesetzes ist durch sicherheitspolitische Überlegungen geprägt und nicht, wie zu erwarten wäre, durch gesellschaftspolitische Fragen. Ein Statement von ÖVP-Klubmann Lopatka untermauert das. | Text: Rusen Timur Aksak, Illustrationen: Eva Vasari
Die Anschläge auf das World Trade Center in New York vor mittlerweile 14 Jahren waren eine Zäsur für die europäischen Muslime. Sie wurden in ihren neuen Heimatländern plötzlich als Muslime und Musliminnen entdeckt und identifiziert, was auch Verdächtigungen und Anfeindungen durch die einheimischen Mehrheitsgesellschaften mit sich brachte. Seither hat sich an dieser verfahrenen Situation wenig geändert, denn während die Angst vor einem gesichtslosen Islam durch Europa geistert, stehen die europäischen Muslime vor großen Problemen. Das vielleicht größte Problem ist die Wahrnehmung der MuslimInnen als homogene Masse, die sie nicht sind. Während ein Teil der europäischen MuslimInnen ihr Heil in der Religion sucht, kann ein anderer kaum das islamische Gebet verrichten. Während die einen ihre Kinder in Korankurse schicken, gehen andere mit ihren Kindern Leberkäsesemmeln essen. Doch die Zuschreibung, die MuslimInnen Europas seien eine einheitliche Masse, hält sich hartnäckig.
Daraus resultiert eine allumfassende Angst, die auch vor etablierten Eliten nicht haltmacht und eine Debatte rund um Integration und Islam befeuert, die allerdings immer wieder in Phasen einseitiger Monologe zurückfällt. Zusätzlich verschärft wurde diese Diskussion rund um Islam und Integration durch den Anschlag auf „Charlie Hebdo“ in Paris oder auch die Akte der Barbarei einer dschihadistischen Miliz namens „Islamischer Staat“ im Irak und Syrien. In dieser Atmosphäre wollte man nun die Novellierung des in die Jahre gekommenen Islamgesetzes angehen.
Diktiertes Gesetz
Schock: Als Ende September 2014 die ersten Details des neuen Islamgesetzes bekannt wurden, verfielen zumindest die Islamverbände des Landes und deren Mitglieder in eine Schockstarre. Denn der gesetzlich anerkannte Dachverband der (sunnitischen) Muslime, also die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), hatte die Verhandlungen mit der Regierung nicht transparent gestaltet und konnte der anschließenden Wut seiner Verbandsmitglieder kaum Herr werden. Ein hochrangiger Verbandsfunktionär der ATIB (Türkisch-Islamische Union in Österreich), des größten österreichischen Islamverbandes mit knapp 70.000 Mitgliedern, will zwar namentlich nicht erwähnt werden, fasst die Haltung der Islamverbände gegenüber der IGGiÖ-Führung und der Regierung allerdings umfassend zusammen: „Man hat uns über den Tisch gezogen, wobei die Rolle der IGGiÖ-Führung fragwürdig bleibt.“
Man muss die Reaktionen seitens der österreichischen MuslimInnen in zwei Lager aufteilen. Die Verbände, die teilweise von Subventionen aus der Türkei oder türkischen Mutterorganisationen abhängig sind, fürchten sich vor den Konsequenzen einer rigiden Anwendung jener Bestimmungen, die im Islamgesetz neu beschrieben werden. Daher ist ihre Zustimmung zum vorliegenden Gesetz nicht zu erwarten.
Das zweite, jedoch ungleich größere Lager sind die vielen österreichischen MuslimInnen, die vielleicht gar kein großes Problem damit hätten, in Österreich ausgebildete Imame zu akzeptieren, doch den autoritär vorgetragenen Diskurs seitens der Regierungsverantwortlichen ablehnen. Mustafa, ein 32-jähriger Wiener Friseur, der kein Freitagsgebet auslässt, sagt: „Was haben unsere Moscheen und Imame mit dem IS oder Anschlägen in Frankreich zu tun? Das sind zwei unterschiedliche Angelegenheiten.“ Mustafa gibt damit ein Gefühl wieder, das viele, insbesondere junge MuslimInnen teilen, denn sie nehmen Teil an der Gesellschaft, kennen die Debatten, aber auch die Momente der Ausgrenzung und Verdächtigungen und sehnen sich daher nach einer Debatte rund um Islam und Integration, die nicht durch Anschläge von Terrorgruppen bestimmt wird. Daher erscheint die Kritik am neuen Islamgesetz einheitlich, obwohl die Interessen von Islamverbänden und einfachen MuslimInnen, die gar kein oder vielleicht nur ein lockeres Verhältnis zu besagten Verbänden haben, aber das Gefühl nicht loswerden, sie seien BürgerInnen zweiter Klasse – und das sei nun in Form der Novellierung auch noch niedergeschrieben worden. Just dieses Gefühl der Ausgrenzung wiederum verstärkt die ohnehin existierenden Probleme, sagt der deutsche Journalist und Autor Eren Güvercin: „Es gibt natürlich die Tendenz, dass in Moscheen als Reaktion auf die Ausgrenzung durch die Mehrheitsgesellschaft eine Art ,Heimatkulturpflege‘ betrieben wird. Im Ergebnis wird das ‚Migrantendasein‘ künstlich aufrecht erhalten.“ Dieses stark verankerte Gefühl führt auch dazu, dass Kleinigkeiten eine große Wirkung erzielen können. Der Passus im Gesetzestext etwa, wonach MuslimInnen eine „positive Grundeinstellung gegenüber Staat und Gesellschaft“ aufzubringen hätten, führt zu misstrauischem Stirnrunzeln. „Steht das auch bei anderen Religionsgemeinschaften drinnen?“, fragt der Friseur Mustafa spontan, wenn man ihm die Stelle im Gesetzestext vorliest. Misstrauen prägt das Verhältnis des Staates gegenüber seinen MuslimInnen, im Zuge der Islamgesetz-Debatte dürfte aber auch klar geworden sein, dass eben jenes Gefühl von MuslimInnen dem Staat gegenüber vorherrscht.
Verbands-Islam unter Druck
„Mein Vater war religiös und in einem Verband tätig, und er hat mir das sozusagen vererbt“, sagt der studierte Turkologe Ahmet. Für Ahmet sind die Verbände essenziell für das muslimische Leben in Europa. „Viele Muslime wollten nicht nur arbeiten, sondern auch ihre Religion nach der Arbeit ausleben“, fährt Ahmet fort. „Muslimische Arbeiter haben sich damals zusammengeschlossen, um religiöse Nöte zu bedienen, und ihre Vorarbeit war wichtig, damit wir heute überhaupt unsere Religion ausüben können.“ In der öffentlichen Debatte rund um Islam und Integration sind oftmals die Islamverbände im Fokus der Aufmerksamkeit, und dennoch sind sie in der Wahrnehmung der österreichischen Mehrheitsgesellschaft Phänomene, die in Schatten gehüllt und kaum greifbar sind. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: Zum einen sind die Ressourcen für neue journalistische Felder, die etwa ethnische oder religiöse Communitys behandeln, kaum vorhanden, zum anderen sind die Islamverbände selbst kaum in der Lage, öffentliche Kommunikation zu betreiben.
Und dennoch haben die wertkonservativ ausgerichteten Islamverbände innerhalb der muslimischen Community eine Vormachtstellung. Denn sie können jene Dienstleistungen anbieten, die für praktizierende MuslimInnen essenziell sind: Gebetsräumlichkeiten, Bestattungsfonds, Korankurse, aber auch Kindergärten und Schulen. Eren Güvercin spricht in diesem Zusammenhang von der Möglichkeit der Verbände, die muslimische Community zu „formen“, da viele Dienstleistungen und Angebote praktisch monopolartig von großen Islamverbänden verwaltet werden. Über 500.000 MuslimInnen leben mittlerweile in Österreich, aber sichtbar wird ihre Religion vor allem im Umfeld von Moscheevereinen. Während man eine muslimische Akademikerin ohne Kopftuch nicht wahrnimmt, sind bärtige alte Männer an Eingängen zu sogenannten „Hinterhofmoscheen“ ein Blickfang. Doch die Ressourcen, solche Moscheevereine zu erhalten, können nicht immer kleine, unabhängige Gruppen bereitstellen. Das ist nicht nur eine Frage des meist ehrenamtlichen Zeitaufwands, sondern auch des Spendenaufkommens eines konkreten Vereins. Allein Miete und Gehalt für den Imam der jeweiligen Moschee können sehr schnell ein monatlicher Kostenfaktor werden, der erst einmal von einer kleinen Moscheegemeinde gestemmt werden will. Wenn dann auch noch Widerstände aus den Reihen der Mehrheitsgesellschaft, von der Lokalpolitik oder gar der Baubehörde entgegenschlagen, müssen viele kleine, unabhängige Vereine aufgeben oder Schutz bei den Islamverbänden suchen. Der Druck von außen führt also dazu, dass die Islamverbände innerhalb der muslimischen Community stärker werden, auch wenn die MuslimInnen nicht immer die Weltanschauung der Verbände mittragen.
Islamgesetz als Sicherheitsdiskurs
Nun geraten ebendiese Verbände in den Bannstrahl der Islamgesetz-Novellierung und sollen etwa auf „lebende Subventionen“ – sprich vom Ausland bezahlte und bezogene Imame – verzichten müssen. Mit einem Jahr ist die sogenannte Übergangsfrist äußerst knapp. Das wird zu einer finanziellen Frage – kleinere Moscheegemeinden werden Probleme haben, das Gehalt eines Imams aufzubringen. Hinzu kommt, dass die Ausbildung heimischer Imame in Österreich noch in den Kinderschuhen steckt. Erst in vier bis fünf Jahren wird es Absolventen geben. Die Übergangsfrist endet aber mit 1. Jänner 2016. Aus Kreisen des größten Islamverbandes ATIB ist zu vernehmen, es könne durchaus möglich sein, dass am 1. Jänner 2016 Dutzende Moscheevereine in ganz Österreich keinen Imam mehr haben werden. Das entspricht zumindest der Sicht der Verbände. Andere Ansichten zu den möglichen Auswirkungen des neuen Islamgesetzes dringen kaum bis zur Basis durch. Das könnte zur paradoxen Situation führen, dass die ohnehin starken Verbände Solidarität selbst von jenen MuslimInnen zuteil wird, die sich ansonsten an der Vormachtstellung der Verbände oder deren weltanschaulicher Ausrichtung reiben. Dieser Solidarisierungseffekt der muslimischen Basis ist bereits abzusehen. Jüngere, oftmals akademisch ausgebildete MuslimInnen übernahmen die Aufgabe, sich inhaltlich und medienwirksam mit der Novelle auseinanderzusetzen, während die Islamverbände ihren anfänglichen Schock und ihre internen Querelen bis heute nicht überwinden konnten.
Wie sich eine aufkeimende muslimische Zivilgesellschaft positionieren wird, könnte viele Debatten der nächsten Jahre mitbestimmen. Daher ist die aktuelle Situation von entscheidender Bedeutung – auch für ein Phänomen, das noch im Entstehen begriffen ist: den österreichischen Islam.
„Wir wollen einen Islam österreichischer Prägung“, sagt Außenminister Sebastian Kurz immer wieder. Im Zuge der heftigen Debatte rund um das Islamgesetz war dieses Argument von den Befürwortern des Gesetzes verstärkt zu hören. Doch der vielleicht entscheidende Satz von Regierungsseite ging in der Kakophonie der Meinungen unter, denn das geplante Islamgesetz sei als „entsprechende Antwort auf den Islamismus“ zu werten, resümierte ÖVP-Klubomann Reinhard Lopatka im Parlament und bestätigte damit die eigentlichen Ängste vieler österreichischen MuslimInnen.
Denn wenn Syrien-Kämpfer bzw. -Rückkehrer den Rahmen für die Novellierung des Islamgesetzes bilden, so entsteht dadurch eine sicherheitspolitische Diskussion rund um den Islam in Österreich und keine gesellschaftspolitische. Die allermeisten MuslimInnen im Land sorgen sich aber um steigende Mieten, den bildungspolitischen Erfolg ihrer Kinder und sehnen sich nach einem schmucken Häuschen im sogenannten Wiener „Speckgürtel“.
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