Keine Polizei-Methoden
Seit Dezember hat Österreich eine Beratungsstelle für Extremismus. Sie wurde im Familienministerium eingerichtet. Populismus oder wirkungsvolle Maßnahme? | Text: Markus Lust
Ob im privaten Gespräch oder im öffentlichen Raum, Extremismus gerät schnell zur politisch aufgeladenen Projektionsfläche. Veranstaltungen wie die erste Pegida-Demo in Wien, bei der es offensichtlich zu Verstößen gegen das Verbotsgesetz kam, belegen das. Dasselbe gilt für die „Patriotischen Europäer“ selbst: Sie stilisieren sich zu besorgten Vaterlandsverteidigern und orten Extremismus lieber als Gefahr der „Anderen“, etwa indem sie von der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ auf Muslime schließen. Dass Extremismus kaum jemals unpolitisch besprochen wird, zeigt auch die Debatte um den neuen Roman von Michel Houellebecq, „Unterwerfung“, der am Tag des „Charlie Hebdo“-Massakers erschienen ist. Darin beschreibt Houellebecq den Wahlsieg einer französischen Version der „Islamischen Bruderschaft“ in naher Zukunft, die daraufhin mitten in Frankreich die Scharia einführt. Was in der öffentlichen Kritik aber ausgeklammert wird, ist, dass Houellebecqs vermeintliche Islamophobie vor allem eine Satire auf Frankreichs Intellektuelle ist. Houellebecq skizziert darin die Bedrohung durch eine pseudointellektuelle Linke, die sich gern als kritischere Alternative zur neuen Rechten inszeniert, aber sich bei der nächstbesten Gelegenheit selbst einer Autokratie in die Arme wirft.
Angesichts der Ideologisierung realpolitischer Probleme ist ein gewisser Pragmatismus wichtig. Denn unabhängig davon, wie real eine Bedrohung auch sein mag – die Ängste davor sind es immer. Und damit auch das Bedürfnis nach Aufklärung, Vermittlung, Entwarnung.
Extremismus als Provokation
Nun soll das die neu geschaffene „Beratungsstelle Extremismus“ leisten, die im vergangenen Dezember im Bundesministeriums für Familien und Jugend eingerichtet wurde. 115 Mal wurde das Angebot in den ersten 50 Tagen bereits genutzt, erzählt eine der Beraterinnen. Die Hotline „richtet sich an Angehörige und Multiplikatoren wie Lehrerinnen, Betreuer und alle, die den Verdacht haben, dass sich ein Kind einer extremistischen Gruppe angeschlossen haben könnte oder mit einer sympathisiert“. Dabei werde absichtlich nicht zwischen unterschiedlichen Formen von Extremismus unterschieden: „Unsere Definition ist oft eine andere als die der Anrufer. Egal ob es um Rechtsextremismus oder Dschihadismus geht – wir versuchen, den Begriff bewusst so breit wie möglich zu verstehen.“ Damit arbeitet die Beratungsstelle der Instrumentalisierung ihres Angebots so gut wie möglich entgegen.
Ins Leben gerufen wurde die Hotline von Familienministerin Karmasin als „Präventions- und Informationsoffensive“. Die Frage, in welchem Maß Extremismus, etwa in Form von Dschihadismus, tatsächlich eine Bedrohung in der westlichen Welt darstellt – in den USA stehen die Chancen höher, durch ein Kleinkind mit Waffe zu sterben –, lässt sich nicht ohne Weiteres beantworten.
Auch für Verena Fabris, Leiterin der Beratungsstelle Extremismus, ist die Antwort nicht so eindeutig. „Extremismus ist ein ernst zu nehmendes Phänomen. Ich glaube aber, dass es immer schon Formen von Extremismus gegeben hat“, ergänzt sie. „Man muss auch differenzieren: Gerade in der Jugend ist es wichtig, radikale Ansichten zu vertreten. Ich glaube nicht, dass die Gefahr heute größer ist als etwa in den 70er-Jahren. Die mediale Aufmerksamkeit macht auch immer etwas mit einem Thema. Vor einigen Jahren hieß es zum Beispiel, dass alle Jugendliche Komatrinker seien.“
Wichtig sei vor allem, Ursachen zu verstehen und nicht Auswirkungen abzuurteilen, so Fabris: „Der religiöse Extremismus unter Jugendlichen ist vor allem eine Form, sich von den Eltern abzugrenzen. Er ist heute die größtmögliche Provokation.“ Um Einzelfälle bestmöglich zu behandeln, war es Fabris wichtig, dass die Beratungsstelle nicht dem Innenministerium unterstellt ist und „keine Sicherheitsbehörde“ darstellt – man wollte nicht mit „polizeilichen Methoden“ arbeiten.
Ursachenforschung ist angesagt
Konkret beginnt die Arbeit der Beratungsstelle Extremismus meistens mit einem Anruf bei der Hotline 0800/20 20 44, danach folgt häufig ein Erstgespräch. „Oft ist es auch schon hilfreich, Tipps zu geben. Wir kooperieren auch mit der Kinderund Jugendanwaltschaft und NGOs, können auch an Therapeuten weitervermitteln“, erklärt eine andere Beraterin. Es soll möglichst unbürokratisch vorgegangen werden. Man setzt auf Multimodalität und Flexibilität. Je weniger im Vorfeld kategorisiert wird, umso besser, denn: „Extremismus hat oft nur an der Oberfläche mit Religion zu tun. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass der Faktor des Fremdfühlens oft ein Grund für Extremismus ist.“
Unter den ersten 115 Fällen gab es drei, bei denen mit Einverständnis der Angehörigen der Verfassungsschutz verständigt wurde. „In einem Fall war die Tochter zum Islam konvertiert, hatte gegen den Willen der Eltern einen IS-affinen Salafisten geheiratet und stand kurz vor der Ausreise. Das Mädchen hat schließlich sogar den Ausstieg aus der Szene geschafft“, erzählt Fabris.
Zum Ausstiegsprogramm gehört, dass die Bedürfnisse, die Extremismus stillt, durch etwas anderes ersetzt werden. Ursachenforschung statt polemischer Debatten sei hier angesagt.
„Betroffene Jugendliche haben häufig Ausgrenzungserfahrungen gesammelt. In einigen Fällen meinten die Eltern: ‚Du liest den Koran jetzt nicht mehr.‘ Hier versuchen wir auch, die Angst vor der Religion zu nehmen.“
Ob die Beratungsstelle für Extremismus, die sich laut Fabris am deutschen Vorbild orientiert, dafür der richtige Ort ist, wird sich weisen. Auch wenn man in deren Einrichtung eine populistische Maßnahme orten kann, die Familienministerin setzt damit immerhin auf ein Signal gegen gesellschaftliche Ausgrenzung – während die Innenministerin einen scharfen sicherheitspolitischen Kurs fährt und nach Kampfhubschraubern verlangt und selbst mit der Abschaffung der unabhängigen Rechtsberatung für AsylwerberInnen noch punkten will.
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