Warum ich nicht mehr arbeiten kann
KLIMASCHÄDEN. Verbale Übergriffe gegen SchülerInnen und islamophobe Äußerungen von KollegInnen. Wie mein Alltag als islamischer Religionslehrer an einem Gymnasium in Wien aussieht. | ein Bericht von Murat Hirsekorn
Ich arbeite im fünften Jahr als islamischer Religionslehrer an Oberstufenrealgymnasien in Wien. Eigentlich müsste es heißen: „arbeitete“. Warum, das möchte ich Ihnen erzählen: Da ich im Sommer neu an diese Schule kam, stellte ich mich allen Kolleginnen und Kollegen vor. Keine so gute Idee, denn ich traf den Schulpsychologen. Er fragte mich gleich, ob ich der neue islamische Religionslehrer sei. Er müsse unbedingt mit mir reden. Als ich fragte: „Worüber?“ erhielt ich nur die Antwort: „Wegen häuslicher Gewalt.“ Aha, dachte ich. Ich bin aber islamischer Religionslehrer und kein Sozialpädagoge oder Psychologe. Der Hintergrund war wohl der, dass der Stadtschulrat im Sommer die Devise ausgab, SchülerInnen mit radikalen Tendenzen zu melden und bei Muslimen ganz besonders auf häusliche Gewalt zu achten. Klar! Bei Christen würde sowas ja nie vorkommen. Als es sich herumsprach, dass ich der Neue bin, blieben mir unzählige Kommentare nicht erspart. Eine Kollegin sprach mich aus heiterem Himmel darüber an, dass sie gegen das Kopftuch sei, da sie Uniformierungen prinzipiell ablehne. Einmal saß ich am Tisch und aß eine Käsesemmel. Eine andere Kollegin war sich nicht zu schade, mir unaufgefordert einen kleinen Vortrag zu halten, in dem sie das Kopftuch mit dem Hakenkreuz verglich. Weitere Einzelheiten dieser Analogie möchte ich Ihnen ersparen, am Ende hieß es nur knapp: „Brauchen wir beides nicht!“
Nennen Sie mich nun ruhig naiv, aber ich wusste einfach nicht, wie ich damit umgehen soll. Also sagte ich erst mal nichts. Die Wochen vergingen und ich wurde von KollegInnen auf SchülerInnen angesprochen, ob nicht doch jemand radikale Ansichten hätte. Ich bin zwar islamischer Religionslehrer, aber kein Kulturanthropologe. Egal woher ein/e Schüler/ in auch kommen mag, von Marokko über Albanien, Tschetschenien bis nach Afghanistan – Immer werde ich gefragt: „Was ist mit ihm, mit ihr los?“ Keine Ahnung! Meine lieben KollegInnen: Ihr kennt diese Menschen länger und besser als ich, warum fragt ihr ausgerechnet mich?
Von SchülerInnen
Nun habe ich auch mit den SchülerInnen gesprochen und interessantes erfahren. Eine Kollegin habe eine Schülerin mit Verschleierung als Gespenst bezeichnet. Ein Schüler berichtete mir, dass ein Lehrer in die Klasse kam und ihnen anbot, einen Witz zu erzählen. Die SchülerInnen waren natürlich begeistert, da dieser Lehrer ansonsten seinen Humor zu Hause vergisst. Der Witz ging so: „Was ist der Unterschied zwischen Juden und Türken? Die Juden haben es schon hinter sich.“ Ein Witz auf der Höhe der Zeit: sowohl interreligiös als auch interkulturell. Ein anderes Mal forderte eine Lehrerin eine Schülerin auf, ihr Kopftuch abzunehmen, weil dieser warm war und sie das Fenster öffnen wollte. Einen Schüler, der einen ägyptischen Hintergrund hat, eröffnete die Lehrerin, dass bei ihnen (also in Ägypten) sowieso 50 Prozent der Frauen verstümmelt seien. Daran ist wohl auch der Schüler schuld. Ich informierte die Schuldirektorin über diese Vorkommnisse. Sie erwähnte das in einer Konferenz, in der ich nicht anwesend war.
Die „Experten“
Das Kopftuch ist immer wieder ein Thema und bestimmte ProfessorInnen sind sich nicht zu schade, dieses Thema ständig anzusprechen. Egal welches Fach sie auch unterrichten. Einmal sprach ich einen dieser Kopftuchexperten an, da es einigen Schülerinnen unangenehm ist, wenn man sie ständig darauf hinweist und sagt, dass es doch keine religiöse Pflicht sei und der Koran dies nicht verlange. Das ist auch so eine Sache: LehrerInnen palavern über Verse im Koran, als hätten sie an der al-Azhar Universität Koran-Exegese studiert. Vielleicht haben sie auch einen Kurs in der Volkshochschule darüber absolviert, da der Islam ja mittlerweile ein topaktuelles Thema ist. Nun antwortete der Lehrer, dass das Kopftuch ja schließlich ein Symbol sei und wer es trage, müsse, vor allem als Schülerin in der Oberstufe, auch in der Lage sein, das zu erklären. Ach so ist das! Ich dachte hier gibt es Religionsfreiheit und Menschen müssten sich nicht ständig rechtfertigen.
Überall Radikale
Ein Lehrer fragte mich, ob ein Schüler radikal sei. Er hatte ihn nach den Attentaten in Paris angesprochen und natürlich auch das Kopftuch wieder thematisiert. Der Schüler gab folgendes von sich: „Wenn im Gazastreifen 2.000 Palästinenser sterben gibt es keine Solidaritätsbekundung und es gibt auch Musliminnen die freiwillig die Burka tragen.“ Über diese Aussage lässt sich sicherlich diskutieren, aber er ist doch nicht radikal aufgrund dieser Bemerkung. Als ich später im Konferenzzimmer mit einer Kollegin und einem Kollegen allein war, wurde wieder die angebliche Aussage eines Schülers zum Thema. Keiner von uns hatte es persönlich gehört. Egal, aus dem Kollegen brach heraus, was sich angestaut hatte: „Diese gewaltverherrlichenden Stellen im Koran... wir wissen ja nicht, was in den Schülern vorgeht... sie werden in Moscheen radikalisiert.“ Der Hass, mit dem er das vortrug, erschreckte mich. Die Kollegin setzte nahtlos fort: „Ja, und da gibt es eine Moschee am Westbahnhof... Dort gibt es einen Mann mit Bart und Kappe, der ist bestimmt Salafist...“ Also ich selbst kannte diese Moschee nicht und war verwundert, woher sie ihre detaillierten Kenntnisse hatte. Könnte sie überhaupt zwischen einem türkischen Sufi, einem Afghanen oder einem Pakistaner unterscheiden?
Auch durfte ich mir eine Erklärung anhören, warum Schweinefleisch im Islam verboten ist. Schweinefleisch hält sich ja nicht lange, die Muslime hatten keine Kühlschränke, usw. Ich dachte, Fisch verdirbt auch recht schnell, ist aber nicht verboten, schon mal darüber nachgedacht? Kein Versatzstück der „Islam-Diskussion“ wurde ausgelassen: Der Islam müsse sich endlich modernisieren und einen Papst bräuchten wir auch. Wir sind also so rückständig, dass man uns das System der katholischen Kirche als fortschrittlich anpreist?
Der Stadtschulrat
Die zuständige Stelle für eine Beschwerde wäre wohl der Stadtschulrat. Doch genau von dort kam die Anweisung, SchülerInnen mit radikalen Tendenzen zu melden. Kurse sollen die Lehrer darüber informieren, was denn überhaupt unter radikal zu verstehen ist. Ein Fachmann schwadronierte über bestimmte Begriffe, die von Radikalen bzw. angehenden Radikalen häufiger ausgesprochen werden: „Inschaallah, Maschaallah, Subhanallah, Astagfirullah“ und „Yani“. Tatsächlich werden die ersten vier Wörter von allen Muslimen verwendet, auch mehrmals täglich. Der letzte Begriff bedeutet so viel wie „also, das bedeutet“ und hat sich in verschiedenen muslimischen, nicht-arabischen Kulturen von der Türkei bis Pakistan durchgesetzt. Würden die LehrerInnen alle SchülerInnen melden, die diese Wörter aussprechen, wären sie wohl selbst bald arbeitslos...
Nun lag im Konferenzzimmer eine Liste für einen Kurs über Extremismus-Prävention aus, in die sich die ProfessorInnen eintragen können. Eine Kollegin hielt mir die Liste unter die Nase: „Hier schau mal, das ist doch was für dich.“ „Nee, ist nichts für mich.“ „Aber du und dein Fach, das passt doch.“ „Ich habe wirklich kein Interesse.“ „Warum blockst du denn bei dem Thema immer so ab?“ Was will sie mir sagen? Meine, also die muslimischen SchülerInnen, sind am ehesten gefährdet? Ich empfinde es aber als verletzend, dass man sie als potentielle Attentäter hinstellt. Ständig muss man sich rechtfertigen. Während niemand zu einem Deutschlehrer gehen und sagen würde: „Schau mal. Du hast doch Germanistik studiert und kennst dich aus mit den Deutschen. Warum hat der NSU die ganzen Ausländer umgebracht? Erklär mir das alles.“ Wenn es Orte gibt, an denen muslimische Jugendliche radikalisiert werden, dann sind das nicht nur Moscheen, sondern auch Schulen. Wenn man jungen Menschen ständig deren Andersartigkeit vorhält, ihnen das Gefühl gibt, nicht dazu zu gehören, dann ist das keine Integration. Anstatt Kurse für Extremismus-Prävention sollten welche gegen Vorurteile über Islam und Muslime angeboten werden.
Die Atmosphäre
Nach den Anschlägen in Paris wurden Karikaturen im Stiegenhaus der Schule aufgehängt. Als eines dieser Bilder herunterfiel, rief der beaufsichtigende Lehrer nicht etwa: „Was ist passiert, ist jemand verletzt?“ sondern: „Wer war das?“. Glaubt er wirklich, dass ein muslimischer Schüler seine Kunstwerke vernichten wollte? Anscheinend ja. Die gesamte Atmosphäre ist so vergiftet, dass ein Lehrer, als SchülerInnen vor der Schule einen Silvesterkracher in einen Mistkübel werfen, nach der Polizei ruft. Er glaubt, sie hätten das wegen der Karikaturen, die in der Schule aushängen, getan. Paranoia?
Ich sage nicht, dass alle KollegInnen an dieser Schule so sind. Aber auch so empfand ich es schlimm genug. Mir tut es vor allem um die SchülerInnen leid, die solche Erfahrungen machen müssen. Und ich bitte alle um Verzeihung, falls ich ihnen Unrecht angetan haben sollte. As-SalamuAlaykum.
PS: All das hat mich so stark belastet, dass ich momentan im Krankenstand bin. Um genau zu sein, handelt es sich um eine Belastungsreaktion mit begleitenden Burnout-Elementen und Panikattacken. Danke!
Die lange Version ist auf der Website des Netzwerks Muslimische Zivilgesellschaft nachzulesen. www.dieanderen.net
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