Kopftuch, Kippa und Kreuz
Wenn es um Themen der Religionsausübung geht, geraten Muslime und Juden oft gleichermaßen unter Beschuss. Imam Ramazan Demir und Rabbiner Schlomo Hofmeister im Gespräch über Österreich und Schweinefleisch, Kreuze und Fundamentalismus. | Interview: Alexander Pollak, Gunnar Landsgesell
MO: Die religiöse Praxis von Juden wie auch Muslimen ist immer wieder Thema öffentlicher Diskussionen, etwa als ein Kölner Gericht 2012 die Beschneidung von Buben für strafbar erklärte. Die Diskussion setzte sich auch in Österreich fort. Löst so etwas ein Gemeinschaftsgefühl zwischen Juden und Muslimen aus?
Hofmeister: Jein. Also ich glaube nicht, dass nur die gemeinsame Gegnerschaft bei Angriffen auf religiöse Riten verbündet. Es gibt doch positive Dinge zwischen Judentum und Islam, die eine Gesprächsbasis schaffen.
Demir: Ich denke schon, dass das verbindet, wenn in der muslimischen Community darüber berichtet wird, dass auch die Juden die Beschneidung haben oder dass auch die Juden darauf achten, wie sie ihr Fleisch schächten.
In der Praxis ist es so, dass Muslime wie auch Juden jeweils ihren eigenen Ritus verteidigen. Wäre das nicht Anlass für eine strategische Allianz?
Demir: Ich bin den Juden schon dankbar. Weil es eine Art Schutz für uns darstellt, wenn wir bei Angriffen der Bevölkerung darauf sagen können: Schaut her, so wie im Judentum ist das auch im Islam eine Pflicht. Dann wird eher nicht mehr weiter nachgehakt. Also ich muss schon sagen, Schlomo, da bin ich euch dankbar (lacht).
Hofmeister: Wobei ich glaube, dass wir quantitativ eher von euch geschützt werden.
Demir: Okay! Wir haben zirka 600.000 Muslime in Österreich und ich glaube 6.000 Juden. Oder mehr? Hofmeister: Wir haben 8.000 Gemeindemitglieder. Aber natürlich, das Judentum ist die älteste Religion Europas und hat damit einen anderen Anspruch auf Bewahrung ihrer Religionsrechte als der Islam, der doch relativ neu dazu gekommen ist. Bestimmte Riten, die zur Religionsausübung im Islam gehören, wären eventuell noch stärker unter Beschuss, wenn sie nicht auch im Judentum vertreten wären.
Debatten wie diese werden oft politisch benutzt, um Fronten zu schaffen. Die FPÖ hat etwa das Schweinefleisch zum österreichischen Kulturgut erhoben und gemeint, wenn in Schulen und Spitälern kein Schweinefleisch mehr serviert wird, dann geht ein Stück Österreich verloren. Sehen Sie Schweinefleisch auch als ein österreichisches Kulturgut?
Hofmeister: Nein.
Demir: Ich kenne viele „waschechte Österreicher“, die Vegetarier oder Veganer sind. Also, ich meine, das ist doch Propaganda, zu sagen: Wer Schwein isst, gehört zu uns.
Hofmeister: Die Frage stellt sich, was eigentlich österreichisch ist?
Anders gefragt: Stört es Sie, wenn in Österreich Schweinefleisch gegessen wird?
Demir: Definitiv nicht. Warum denn?
Das unterstellt die FPÖ. Sie behauptet, Muslime sind beleidigt, wenn irgendwo Schweinefleisch serviert wird.
Hofmeister: Vielleicht wenn ihnen selbst Schweinefleisch serviert wird.
Demir: Nicht einmal dann wäre jeder gleich beleidigt. Dann würde man erstmal darauf aufmerksam machen, dass wir kein Schwein essen.
Wie verhält sich das mit Kreuzen in Schulklassen, um noch einmal die FPÖ zu zitieren. Stören Sie die?
Hofmeister: Ich würde so sagen. Wenn von Seiten der säkularen Kritiker Religionssymbole in Klassenzimmern kritisiert werden, ist das schon berechtigt. Inwieweit hat ein religiöses Symbol, staatlich verordnet, dort seine Berechtigung? Zudem in einem multikulturellen Land? Wenn ein Individuum seine religiösen Symbole trägt, egal ob Kopftuch, Kippa oder Kreuz an der Kette, ist das privat. Wenn der Staat es verordnet, dann darf man das hinterfragen. Aber es scheint hier in Österreich einfach dazuzugehören. Es gibt jedenfalls keinen Juden und, ich glaube auch keinen Moslem, der sich weigert, ein Spitalszimmer zu betreten oder der sein Kind an eine andere Schule schickt, weil dort ein Kreuz hängt. Aber klar ist auch: Eine Staatsreligion gibt es in Österreich nicht – hat es auch nie gegeben.
Sowohl Judentum wie auch Islam sind Religionen, die teils sehr orthodox oder radikal gelebt werden. Dazu zählt auch, dass das Geschlechterverhältnis sehr klar geregelt ist, dass in bestimmten Situationen Männer und Frauen getrennt sein sollen. Wie gehen Sie mit sehr orthodoxen Strömungen um?
Hofmeister: Wenn etwas zum Tabu innerhalb einer Religion gehört, dann betrifft es die Religion selbst. Darüber müssen sich diejenigen nicht mokieren, die es nichts angeht. Als Beispiel: Wir bekommen sehr oft die Anfrage von besorgten Mitbürgern, die sich darüber wahnsinnig aufregen, dass in der Synagoge Männer und Frauen beim Gebet getrennt sitzen. Es betrifft sie nicht. So lange die jüdischen Frauen und Männer damit einverstanden sind – und ich kann Ihnen einige Dutzend sehr emanzipierter jüdischer Damen nennen, die das genauso möchten –, so lange ist das auch so. Was also stört es den österreichischen Mitbürger, wenn andere österreichische Mitbürger jüdischen Glaubens im Sommer mit Pelzmützen rumlaufen? Er muss es ja nicht machen. Wir sollten uns darüber einig sein, dass man es jeder Religion selbst überlassen muss, inwieweit sie sich aufklären, säkularisieren und assimilieren lassen möchte.
Demir: Nur mal kurz zum Begriff radikal, den Sie in Ihrer Frage verwenden. In der Bevölkerung glaubt man da sofort, jetzt geht es um Fundamentalisten. Aber ich weiß, Sie meinen radikal in religiöser Hinsicht, als Lebensführung. Natürlich gibt es diese Pluralität. Es gibt sowohl Juden als auch Muslime, die ihre Religion richtig ausleben wollen. Also bei uns gibt es Sufis, die sagen „Friede durch die Mystik“, und wir haben Salafisten, die nicht zu den radikalen Fundamentalisten gehören. Das Wort Salaf bezieht sich ja auf die Generation, die nach dem Propheten gelebt hat. Das heißt, nicht jeder, der kommt und sagt, ich bin ein Salaf, ist radikal. Das muss man auch erst mal verstehen. Das Wissen von Außenstehenden ist leider oft sehr gering.
Die jüngste Debatte hat sich an einem Schulthema entzündet. Es soll vorgekommen sein, dass Eltern LehrerInnen nicht die Hand geben wollten, was als Mangel an Respekt verstanden wurde.
Demir: Nein, das hat nichts mit mangelndem Respekt zu tun. Wenn eine muslimische Frau in die Schule kommt, und der Lehrer streckt ihr die Hand entgegen, sie aber sagt, ich darf es nicht, wegen meiner Religion, dann ist das doch zu respektieren. Auch in Japan geben sich Männer und Frauen nicht die Hand. Aber wir erleben auch Entwicklungen. Viele Muslima oder Muslime geben mittlerweile auch die Hand. Ich tu’s ja auch. Weil ich genau weiß, der andere kennt das nicht. Das hat auch etwas mit Empathievermögen zu tun. Aber ein bisschen Empathie erwarte ich auch von der anderen Seite.
Hofmeister: Die Frage lässt sich auch im europäischen Judentum an zwei Grundströmungen ablesen: Im westeuropäischen Judentum war es üblich, dass sich Männer und Frauen die Hand geben, im osteuropäischen Judentum war es nicht gestattet, also ein Tabu. Seit dem Ende der Shoa hat sich im Prinzip die osteuropäische Ansicht durchgesetzt. Das hat verschiedene Gründe. Aber jene westeuropäischen Meinungen in der rabbinischen Literatur, wonach Männer und Frauen sich die Hand zur Begrüßung geben dürfen, weil es eine rein soziale Konvention ist und das Verbot des Körperkontakts hier nicht gegeben ist, sind nicht weniger religiös. Grundsätzlich würde ich aber zu dieser Debatte die Frage stellen: Was ist respektloser, wenn man die religiösen Gefühle des anderen nicht respektiert oder wenn man soziale Konventionen missachtet?
Die Debatte läuft oft über „Vorrechte“: Wir waren zuerst da ...
Hofmeister: Das sind wir wieder bei dieser Debatte. In dem Moment, wo jemand hier geboren ist, hier aufgewachsen ist, ist das sein Zuhause. Er gehört hier genauso hin wie die anderen. Das berechtigt nicht die Majorität, die anderen in privaten Angelegenheiten zu dominieren. Im Übrigen gab es schon tausend Jahre, bevor es mehrheitlich christlich war, Juden in Österreich. Dennoch kämen wir nie auf die Idee zu sagen, wir waren zuerst da ...
Es wird in letzter Zeit vermehrt von Angriffen auf Frauen, die Kopftuch tragen, berichtet, auch von antisemitischen Attacken. Ist es derzeit eigentlich möglich, in Österreich ein unbehelligtes L eben zu führen?
Demir: Also ich merke im ständigen Kontakt mit muslimischen Jugendlichen, dass es mehr Angst gibt. Frauen, die ein Kopftuch tragen, haben wirklich Angst, nachts allein hinauszugehen. Gestern wurde berichtet, dass drei Muslime in den USA getötet wurden, von einem Atheisten. In Wien wurden Moscheen mit Hakenkreuzen beschmiert. Das spricht sich herum. Also, es ist nicht mehr so wie früher. Zu meiner Zeit hat man gesagt, es gibt ein Leben vor dem 11. September und eines danach. Jetzt gibt es ein Leben vor dem IS und eines danach.
Hofmeister: Also ich kann das durchaus äquivalent übersetzen. Die Unbeschwertheit ist durch die jüngste Entwicklung sicherlich etwas genommen. Und das betrifft sowohl den von radikalen Islamisten ausgehenden Antisemitismus als auch den der Bürgerlichen, die einerseits die Islamophobie predigen, aber andererseits mit ihrer Islamophobie alles meinen, was nicht im eigenen Konzept liegt. Das heißt, alle Minderheiten, alle Kulturen, die scheinbar für jene Ewiggestrigen nicht ins Konzept passen. Im Fall der PEGIDA-Demonstrationen in Deutschland ist zwar nicht jeder ein Faschist, der sich auf die Straße treiben lässt. Aber es hat sich gezeigt, dass die, die dahinter stehen, sehr wohl dem extrem rechten Spektrum angehören. Sie sagen heute, wir sind gegen Muslime, und morgen werden sie sagen, sie sind gegen andere Minoritäten. Also sitzen wir insofern in einem Boot.
Wundert es Sie eigentlich, dass inzwischen das Judentum in das Abendland einverleibt wurde? Es wird jetzt oft vom „christlich-jüdischen Abendland“ gesprochen in Abgrenzung zum „nichtabendländischen“ Islam.
Hofmeister: Den Begriff „christlich-jüdisches Abendland“ empfinde ich persönlich als Anbiederung. Seit der Zeit der Kreuzzüge wurde im Namen des christlichen Abendlandes das Judentum abgeschlachtet. Und jetzt, nach der Shoa, ist es auf einmal das „christlich-jüdische Abendland“? Ich habe ein Problem schon mit dem Begriff „Abendland“. Weil allein dieser Begriff Konnotationen beinhaltet, die mit einem toleranten Miteinander unvereinbar sind.
Herr Demir, spielt das Thema Antisemitismus in Ihrer Arbeit mit Muslimen eine Rolle? Demir: Ich würde sagen, es gibt schon einige, die aufgrund der Israel-Politik antisemitisch sind. Auf die Welt bezogen gibt es viele, die antisemitisch sind, weil sie Israel mit dem Judentum gleichsetzen. Viele heißt aber nicht die meisten.
Hofmeister: Es sind zu viele, aber nicht die meisten.
Demir: Der Konflikt im Nahen Osten ist zweifellos ein großer Faktor. Ein Beispiel: Nach dem Angriff auf die internationale Hilfsflotte vor Israel, wo neun Menschen einfach erschossen wurden, hat man das in der Türkei tagtäglich ausgestrahlt. Und dann hatte ich in einer meiner Schulklassen eine Schülerin, die gesagt hat: Ach, das sind diese Juden. Da habe ich gesagt: Stopp! Das war die Armee, von mir aus der Staat, aber es waren nicht „die Juden“. Ich gehe dann in meinem Unterricht ganz bewusst immer wieder auch auf das Gemeinsame mit dem Judentum und auch mit dem Christentum ein. Nur so schaffen wir ein Miteinander, einen Zusammenhalt.
Herr Hofmeister, gibt es eine Diskussion über Muslime auch in der jüdischen Gemeinde? Etwa über einen Generalverdacht gegen Muslime?
Hofmeister: Wenn man von Menschen hört, die im Namen ihrer Religion andere Menschen töten, dann macht das Angst. Wenn man sich nicht näher auskennt, denkt man: Na ja, wenn das die Religiösen dieser Religion sind, dann wird das schon die Religion sein, die das rechtfertigt. Und natürlich muss man diskutieren, ob der Islam jenen Extremisten die Möglichkeit bietet, als Argument für Terrorismus herzuhalten. Das scheint so von außen. Tatsächlich kann man den Koran – aus Unwissenheit – zerpflücken und aus Passagen Gewaltrechtfertigungen ableiten. Das Gleiche kann man aber auch mit der christlichen Bibel und mit der jüdischen Thora machen.
ZUR PERSON
Ramazan Demir
Ramazan Demir, 1986 in Ludwigshafen geboren, ist Imam in Wien und arbeitet ehrenamtlich als Gefängnisseelsorger der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ)
Schlomo Hofmeister
Schlomo Hofmeister, 1975 in München geboren, ist Gemeinderabbiner in Wien. Im Dezember 2014 reisten Demir und Hofmeister gemeinsam nach Istanbul, Israel und in die palästinensischen Gebiete und sorgten damit für einige Verblüffung.
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