Integration durch Tafellöschen?
PolitikerInnen fordern als Antwort auf radikalisierte Jugendliche Geldstrafen und Nachsitzen. Das ist Totalversagen in Reinform. | CLARTEXT, Clara Akinyosoye sagt es nicht durch die Blume. Eine Kolumne über Diversität und Migration.
Ich dachte, wir wären schon weiter. Dass wir darauf zusteuern, junge Menschen, deren Eltern oder Großeltern anno dazumal nach Österreich gekommen sind, langsam als Österreicher und Österreicherinnen wahrzunehmen. Nicht als Fremde, nicht als Feinde, nicht als Störenfriede. Aber die jüngste Integrationsdebatte, von den roten Landeshauptmännern Franz Voves und Hans Niessl angezündet, von Integrationsminister Sebastian Kurz aufgegriffen und von der FPÖ bejubelt, hat mich eines Besseren belehrt. Wir bewegen uns langsam, aber stetig rückwärts. Es ist so: Im Nahen Osten terrorisiert der selbsternannte „Islamische Staat“ alle Menschen, die ihre menschenverachtende Ideologie nicht teilen. In Europa gibt es eine nicht unerhebliche Zahl junger Menschen, die sich dieser Terrorgruppe angeschlossen haben, um zu kämpfen, zu töten, zu helfen – auch junge Menschen aus Österreich. Leider. Das hat mit Protest-und Jugendkultur, mit Perspektivlosigkeit und Chancenungleichheit zu tun, sagen die einen. Das hat mit dem Islam, dem Koran, den tschetschenischen Flüchtlingen, Saudi-Arabien zu tun, sagen die anderen. Ich weiß nicht, warum junge Menschen ausrücken, um Unschuldige zu töten. Aber ich weiß, dass Tafellöschen das Problem nicht lösen wird. Das wissen wohl auch Franz Voves, Sebastian Kurz und die FPÖ – trotzdem fordern sie im Kampf gegen Radikalisierung im Gleichklang Sanktionen für Integrationsunwilligkeit. Der Integrationsminister will, dass Eltern, die nicht kooperieren, also etwa nicht zum Elternsprechtag kommen, eine saftige Verwaltungsstrafe bekommen. Und LehrerInnen sollen noch mehr Gewalt über SchülerInnen erhalten. Sie sollen sie für „Dienste am Schulstandort“ – Tafellöschen zum Beispiel – heranziehen können, wenn sie nicht integriert bzw. nicht willig sind. Denn wenn – vornehmlich männliche – Jugendliche mit Wurzeln von „woanders“ Ärger machen, dann nennt man sie nicht „Rotzbua“, sondern „integrationsunwillig“. Und ein Großteil der Gesellschaft findet nichts dabei, weil er noch immer nicht verstanden hat, dass Integration etwas anderes bedeutet, als Menschen heranzuzüchten, die man gern um sich hat, die höflich, freundlich, nützlich sind. Integration bedeutet Menschen mit denselben Chancen, Rechten und Pflichten auszustatten wie die Mehrheitsbevölkerung. Erfolgreiche Integrationspolitik schafft Rahmenbedingungen, die den sozialen Zusammenhalt stärken, gerade wenn viele unterschiedliche Menschen in einer Gesellschaft zusammenleben. Voves, Kurz und Co. haben sich für einen anderen Weg entschieden: Sie brandmarken ungehobelte Teenager als potenziell radikal und geben den verängstigten Menschen das Gefühl, etwas gegen ihre Probleme zu unternehmen. Das ist ja wahrlich Balsam auf die Seele Verunsicherter, aber nachhaltige Politik sieht anders aus.
Clara Akinyosoye, freie Journalistin und Ex-Chefredakteurin von M-Media.
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