Austrotürke will keiner sein
ANDERE ÜBER... ÖsterreicherIn zu sein, ist nicht leicht. Hier gilt
das Abstammungsrecht. Kommentar: Delna Antia
„Ich denke sehr oft darüber nach: Was bin ich? Halbe Österreicherin? Halbe Türkin?“ fragt sich eine junge Wienerin und ist damit nicht die einzige. Die Identitätsfrage beschäftigt jeden, der anders ist. Als Migrant gehört sie zum Leben dazu wie Marmelade zur Sachertorte. Wer von dir wissen will, woher du „wirklich“ kommst, will von dir wissen, wer du „wirklich“ bist. Und macht mit der Frage klar, einer wie er bist du wahrlich nicht.
Was also „sein“? Eine Identitätsstrategie ist das klassische Ausweichmanöver. MigrantInnen in Österreich sind lieber Wienerinnen, Europäer oder Weltbürgerinnen. Denn mit eindeutigen Positionierungen in Sachen Nationalität haben sie schlechte Erfahrungen gemacht. „Und wenn ich gesagt habe, dass ich Österreicherin bin, dann waren die Leute nicht zufrieden. Es gibt keine Akzeptanz, dass Österreicher auch anders aussehen können,“ erklärt mir eine andere junge Frau. Sie trägt Kopftuch, wurde in Wien geboren und kennt keine andere Heimat. Sie besitzt die Staatsbürgerschaft – die Krönung jeder Integrationsbiographie. Aber Österreicherin? „Es gab Zeiten, wo ich keinen Bock hatte, Österreicherin zu sein. Wegen der fremdenfeindlichen Politik zum Beispiel.“ Kontra-Identifizierung nennt die Fachsprache das. Jene Identitätsstrategie, wenn man extra nicht dazugehören will. Das Motto: „Dann eben nicht!“
Diese Strategie habe ich oft beobachtet. Für meine Masterarbeit an der Uni Wien habe ich Gespräche mit jungen MigrantInnen der zweiten Generation geführt. Ich wollte wissen: Bist du Österreicher/in? Und weil ich einen Verdacht hatte, führte ich die gleichen Gespräche auch in Deutschland. Der Verdacht: Deutsche MigrantInnen fühlen sich Deutschland zugehöriger als österreichische Migranten zu Österreich. Diese Hypothese wurde von zwei Dingen befeuert.
Die Statistiken einer europaweiten Studie (TIES 2012) zeigen: Während sich in Deutschland türkische und ex-jugoslawische MigrantInnen zu 49 – 70 % stark zugehörig fühlen, sind es in Österreich nur 29 – 57 %. Plus: Meine türkische Freundin möchte zu 100 % lieber mit einem „Deutschtürken“ als einem „Austrotürken“ ausgehen. „Die stehen zu ihrem Deutschsein!“ In Österreich würde keine/r Austrotürke oder Austrotürkin sein wollen, sie eingeschlossen. Und, Tatsache: Einfach „Beides“ zu sein, Österreicher und Türke, scheint keine Option. In Österreich gilt tendenziell: entweder-oder. „Ich würde mich nicht als Türken bezeichnen. Aber Österreicher bin ich nicht, egal wie sehr ich mich anpasse, die Sprache spreche und hier aufgewachsen bin. Und selbst wenn ich mich so bezeichnete, würden es die richtigen Österreicher nicht akzeptieren,“ hieß es in meinen Gesprächen. Es scheint nicht leicht, Österreicher zu sein – ganz oder gar nicht! Und wer nicht „ganz“ ist, hängt dazwischen.
In Deutschland schillert die Integration keineswegs rosarot. Doch mischten die Befragten dort mehr. Sie waren u.a. „DeutschtürkInnen“. Eine Konsequenz der doppelten Staatsbürgerschaft? Auch wenn Pass und Identität zweierlei sind, haben sie doch eine Wechselwirkung. In Deutschland gilt das Geburtsrecht, zudem haben seit 2014 auch Kinder aus Drittstaaten das Recht auf den Doppelpass. In Österreich gilt allein das Abstammungsrecht, Integrationsexperten kritisieren das als „künstliche Verfremdung“ hier geborener Kinder. MigrantIn zu sein, heißt aber nun einmal „Melange“ zu sein. Statt also ständig zu versuchen diesen Mehrwert zu vertuschen, sollten wir einmal anerkennen: Es ist gut MigrantIn zu sein! Zwei Welten zu besitzen, vermitteln und übersetzen zu können. Genau das tun Austro-MigrantInnen. Lassen wir sie doch einfach beides sein!
ZUR PERSON Delna Antia
Delna Antia lebt seit 8 Jahren in Wien und ist stv. Chefredakteurin des Ethnomagazins „Das Biber“. Sie hat in Deutschland Philosophie studiert und European Studies an der Universität Wien. Sie besitzt die deutsche und die britische Staatsbürgerschaft und bezeichnet sich selbst als Mischung aus Oberhausen und Bombay. Ihre Mutter stammt aus dem Ruhrgebiet, ihr Vater ist Parsi aus Indien.
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