Community News
Muslimische Communities helfen oft unbürokratisch und arbeiten zumeist abseits der Öffentlichkeit an der Integration von Flüchtlingen. Sie sind eine wichtige Schnittstelle innerhalb der Gesellschaft. Was aber tut sich hier? Text: Ibrahim Yavuz
ATIB: Spitzelvorwürfe
Spitzelvorwürfe gegen Imame der ATIB Union stehen immer noch im Raum. Der türkische Präsident Recep Erdogan soll Imame und selbst Parlamentsabgeordnete bespitzeln lassen haben. Vergangenes Jahr tauchte eine Liste mit Namen von Anhängern der Gülen-Bewegung in Deutschland auf, die vom türkischen Geheimdienst MIT an den Bundesnachrichtendienst weitergegeben worden sein soll – offenbar in der Hoffnung, hier Unterstützung zu erhalten. Kurze Zeit später wurde auch in Österreich die Existenz solch einer Spionageliste kolportiert, wodurch Imame von ATIB unter Verdacht gerieten. Was auch immer dran ist an den Vorwürfen: Von den Auswirkungen werden wieder einmal alle Muslime und Musliminnen betroffen sein. Es ist von Einschränkungen für alle muslimischen Vereinigungen die Rede. In Deutschland wurden einige muslimische Gemeinschaften generell bei Verhandlungen mit Landesvertretungen ausgeschlossen.
ATIB selbst hat bereits Konsequenzen aus der Affäre gezogen. Der Dachverband, der über 60 eigenständige türkische Vereine mit 100.000 Mitgliedern vereint, wählte den Mediziner Mediziner Nihat Koca zum neuen Vorsitzenden. Damit wird Koca der erste Präsident, der nicht aus Ankara bestellt ist, sondern aus den eigenen Reihen kommt. Kocas Vorgänger, Fatih Karadas war gleichzeitig türkischer Kulturattaché, diese Doppelbesetzung endet damit.
Dass sich die Debatte über die mögliche Spitzeltätigkeiten einmal mehr zu einer Loyalitäts-und Zugehörigkeitsdebatte über türkischstämmige Muslime in Österreich entwickelt hat, scheint überwiegend mit dem bisherigen intransparenten Auftreten der ATIB-Führung zu tun zu haben. Mit der „Neuorientierung“ unter Nihat Koca wird nun ein Schritt in die richtige Richtung gesetzt. In weiterer Folge wird sich zeigen, ob eine Öffnung der ATIB, deren religiöse Dienste bislang aus einem Drittstaat – nämlich der Türkei – teilfinanziert wurden, möglich ist.
Tatsächlich werden aber in Österreich weniger als die Hälfte der Moscheen auf diesem Weg erhalten. Die Moscheegemeinden finanzieren ihre Infrastruktur und den Imam zu wesentlichen Teilen aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen. Auch bei ATIB wird zumeist nur der Imam aus der Türkei bezahlt, während die Mitglieder oder BesucherInnen des Freitagsgebets für Miete, Strom-, Gas- und Wasserkosten aufkommen. Das lange diskutierte Islamgesetz regelt die „internen finanziellen“ Angelegenheiten der MuslimInnen nicht.
Van der Bellen: Zivilcourage mit Fragezeichen
Die Aussagen von Bundespräsident Alexander Van der Bellen sorgten für viel Wirbel. Bei einer Veranstaltung sagte er in einer Nebenbemerkung, dass bald „alle Frauen im Lande aus Solidarität ein Kopftuch tragen“ müssten. Van der Bellen bezog sich dabei auf eine verschärfte Diskriminierungen von Menschen aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Bekleidung. Dann fügte er hinzu: „Die Dänen haben während der deutschen Besatzung doch etwas Ähnliches gemacht: Nicht-jüdische Dänen haben angefangen, den David-Stern zu tragen.“ Sofort griffen Medien diese Äußerungen auf und kritisierten den Bundespräsidenten. Es folgte ein Shitstorm in sozialen Netzwerken. Die Frage stellt sich, ob die Meinung des Bundespräsidenten der Auffassung der Mehrheitsgesellschaft entsprechen muss oder ob er seine Einschätzung kund geben darf? Offensichtlich ist jedenfalls, dass auch ein Bundespräsident bei der freien Meinungsäußerung an seine Grenzen stoßen kann.
Man sollte meinen, dass Solidaritätsbekundungen mit Menschen, die diskriminiert werden, selbstverständlich sind, wird der Bundespräsident dafür zurechtgewiesen. Eigentlich von allen Seiten. Dennoch schien Van der Bellen zu Beginn hinter seinen Aussagen zu stehen. Kurz darauf hatten UnterstützerInnen von Van der Bellens Wahlkampf-Rivalen Norbert Hofer und viele andere in den sozialen Netzwerken eine neue Aktion gestartet: ein Foto Van der Bellens mit der Aufschrift „Not my President“. Muslimische und auch linke AktivistInnen starteten Gegenkampagnen und begrüßten die Haltung des Bundespräsidenten. Offenbar wurde der Druck dann doch zu groß, weil Alexander Van der Bellen einige Tage später einknickte und in der Kronen-Zeitung ein „Geständnis“ machte: „Es war ein Fehler, wenn man so will“. Was auch immer das bedeuten soll. Schade eigentlich.
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