"Ich möchte die Wahrnehmung schärfen"
Ihre Eltern, Dariush und Parwaneh Forouhar, wurden 1991 im Auftrag von Regierungskreisen in ihrem Haus in Teheran ermordet, beide waren politisch aktiv. Seit damals lebt die 1962 geborene iranische Künstlerin Parastou Forouhar in Deutschland im Exil. Ihre Arbeiten wurden u.a. in London, Berlin, Teheran, Rom und Wien ausgestellt. Zurzeit ist das von ihr geschaffene Mural „Written Room“ im Museum voor schone Kunsten in Gent zu sehen. Erst kürzlich wurde in Wien die Theaterperformance „Fantomas Monster“ im „brut“ im Wiener Künstlerhaus gezeigt, das Stück verarbeitet Erfahrungen der Künstlerin. Parastou Forouhar im Gespräch über die soziale und politische Dimension ihrer Arbeit.
Sie leben seit 25 Jahren im Exil in Deutschland. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus, in der Sie persische Ornamente und Schriftbilder verwenden? Spielt Lesbarkeit eine Rolle?
Die Schriften, mit denen ich arbeite, sind unlesbar. Das ist zwar ein persisch-arabisches Schriftbild, aber das entschlüsselt sich nicht in einer Bedeutung. Es geht mehr um Rhythmus, um einen Zwischenraum im Bewusstsein und um die Vorstellung von Schrift und Ornament. Das europäische Publikum kann das genauso wenig „lesen“ wie das iranische. Mir ist es wichtiger, eine Haltung der Verweigerung zu signalisieren, als exakte Bedeutung zu produzieren. Beim Betrachter/der Betrachterin sollen Freiräume entstehen, und Assoziationen möglich werden. Ich denke, Ornamente sind in allen Kulturen zuhause. Die Sprache des Ornaments, die ich für meine Arbeit entdeckt habe, ist jedenfalls gegen Klischees gerichtet.
Sie setzen bei Ihrer Arbeit auf Ambivalenzen. Die Motive vermitteln auf den ersten Blick eine Ästhetik der Schönheit, doch beim zweiten entdeckt man, dass ein Ornament etwa aus Messern besteht.
Es geht mir um die Gleichzeitigkeit des Schönen und des Grauenvollen. Ich arbeite oft mit dem Schmetterlingsmotiv, zum Beispiel als Foto-Tapete: Ein Raum wird voll mit diesen farbigen Gestalten, und wenn der Betrachter näher kommt, entdeckt er die gepeinigten Körper in den Flügeln. Das ist ein Moment, der die Wahrnehmung sensibilisiert. Schmetterlinge sind in verschiedenen Kulturen eine symbolische Gestalt: Im Altgriechischen steht das Wort für Psyche, für Seele. Auch die Wiederauferstehung ist ein Symbol davon. In der persischen Poesie kommt der Schmetterling sehr oft vor und symbolisiert die flüchtige Schönheit und die Selbstaufopferung für die Liebe. Der Vorname meiner Mutter, Parvaneh, bedeutet Schmetterling, das hat für mich also auch eine sehr persönliche Bedeutung. Jedes Mal, wenn eine große Ausstellungshalle mit Schmetterlingen voll wird, ist das auch eine Hommage an meine Mutter.
Ihre Eltern wurden 1998 in ihrem Haus in Teheran durch Agenten der Regierung ermordet. Wie hat sich Ihre Kunst seither verändert, ist sie politischer geworden?
Jede Künstlerin arbeitet mit den Erlebnissen und existenziellen Erfahrungen, die sie hat. So ein Einschnitt in die Biographie, die brutale politische Ermordung meiner Eltern, hat tiefe Spuren bei mir hinterlassen. Mein ganzes Engagement für die Aufklärung dieser politischen Morde hat mich natürlich verändert, hat immer mehr mein Augenmerk auf das Politische gerichtet. Das hat sich auch in meiner Kunst wiedergespiegelt: in meinem Interesse, Bilder zu schaffen, die mit politischer Gewalt zu tun haben; mit Machtstrukturen, in denen die Menschen entwürdigt werden; mit einer Situation, die ihnen wehtut.
Sie reisen immer wieder in den Iran, um ein Zeichen zu setzen. Wie reagiert die Regierung darauf?
Ich wurde bei meinem letzten Aufenthalt im vergangenen Jahr verklagt. Ich erhielt eine Vorladung von der Dienstbehörde für Sicherheitsangelegenheiten. Ich war wie jedes Jahr nach Teheran gereist, um am Jahrestag der Ermordung meiner Eltern am 21. November eine Veranstaltung abzuhalten. Das wurde von den Behörden verboten. Das letzte Mal, dass ich im Iran war, hat man zwar kein Ausreiseverbot über mich verhängt, aber es läuft ein Verfahren gegen mich. Irgendwann werde ich sicher wieder vorgeladen und dann muss ich mich diesem Gericht stellen. Das Verfahren gibt es aus zwei Gründen: Wegen Beleidigung des Sakrosankten durch meine Kunst – das ist ein Vorwand, ein absoluter Schwachsinn. Die Behörden haben sich auf Objekte bezogen, auf denen ich religiöse Tücher appliziere. Das wird als Beleidigung des Heiligen gebrandmarkt. Andererseits wirft man mir Propaganda gegen das Regime vor. Das Regime stört meine Erinnerungsarbeit, und dass ich immer wieder die politischen Morde und Menschenrechtsverletzungen thematisiere.
Gibt es überhaupt eine faire Justiz in Ihrem Verfahren?
Überhaupt nicht. Der Richter, der über meine künstlerische Arbeit urteilen soll, hat eine Kunstkenntnis wie Kopfsalat. Mit ihm ist gar kein Gespräch möglich, weil er keine Ahnung von Kunst hat. Ich warte nun erstmal ab, ob die Klage vor allem deshalb eingereicht wurde, um mich einzuschüchtern, so dass ich die Erinnerungsarbeit nicht mehr weiterführe. Meine Veranstaltungen sind zwar bereits verboten, aber sie haben große Präsenz. Das Verfahren hat jedenfalls keinerlei juristische Legitimität. Aber vielleicht sind die Behörden ja so dreist und ziehen das Verfahren einfach durch.
Meine letzte Ausstellung im Iran war vor drei Jahren. Als ich letzten Winter versucht habe, ein Kunstprojekt zu realisieren, wurde das verhindert. Die Polizei kam in die Druckerei und hat alles beschlagnahmt. Im Iran ist es immer so, dass man der Willkür ausgesetzt ist. Man kann nie sicher sein, ob es klappt oder nicht. Ich werde es wieder versuchen, vielleicht, wenn das politische Klima wieder offener ist.
Seit der „Reformer“ Hassan Rohani Präsident ist, soll es Jagd auf Blogger und Internetaktivisten geben. Wie sehen Sie die Situation?
Rohani ist mit bestimmten Versprechen an die Macht gekommen, von denen im innenpolitischen Bereich keines realisiert wurde. Der Iran ist nicht offener geworden, es gibt viele Aktivisten und Aktivistinnen, die im Gefängnis sitzen. Es gibt weiterhin keine fairen Verhandlungen gegen jene, denen etwas im politischen Sinn vorgeworfen wird. Andererseits versucht die iranische Zivilgesellschaft immer wieder kleine Freiräume zu erkämpfen, zu demonstrieren, Präsenz zu zeigen. Es ist ein Hin-und-her, ein Kampf, der manchmal wirklich zermürbt, weil es nicht so richtig vorangeht.
Welche Rolle kann Ihre Kunst spielen?
Ich hoffe, meine Arbeiten helfen, Bewusstsein zu schaffen, Räume zu öffnen für alternative Wahrnehmungen. Ich möchte dem Betrachter auch die Verantwortung des Sehens vermitteln, auch den Blick schärfen. Ich versuche die Betrachter/innen für bestimmte Themen zu sensibilisieren. Was mit der Wahrnehmung selbst gemacht wird, ist aber nicht die Aufgabe der Kunst. Es geht mir nicht um bestimmte Botschaften, sondern um eine Präzisierung des Blicks. gun
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