Man wird doch wohl noch „weiß“ sagen dürfen
CLARTEXT. Was MigrantInnen gewöhnt sind, halten viele weiße Menschen nur schwer aus – in eine Schublade gesteckt zu werden. Clara Akinyosoye sagt es nicht durch die Blume. Eine Kolumne über Diversität und Migration, Illustration: Petja Dimitrova
Ich möchte eine Anekdote mit Ihnen teilen: Vor einigen Jahren war ich gemeinsam mit dem ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka, FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und dem Autor Thilo Sarrazin zu Gast bei Puls 4. Wir diskutierten über das N-Wort und politische Korrektheit. Lopatka saß bei der Diskussionssendung rechts neben mir. Und als eine Dame aus dem Publikum sich darüber echauffierte, warum drei weiße Männer sich über das Thema unterhielten, da wurde Lopatka ärgerlich. Er ging in die Verteidigungshaltung. Er sei eben eingeladen worden. Nach der Sendung war der routinierte ÖVP-Politiker immer noch ziemlich beleidigt. Er beschwerte sich bei mir, die Frage dieser Frau sei ja wirklich eine Frechheit gewesen. Er wisse nicht, wie er dazu komme, seine Anwesenheit hier rechtfertigen zu müssen. Ich, Schwarze Wienerin, spendete Trost: „Machen Sie sich nichts draus“, sagte ich. „Wissen Sie wie oft man mir schon gesagt hat, dass ich fehl am Platz bin?“
Die Reaktion von Lopatka ist typisch für viele weiße Männer, die es eben nicht gewöhnt sind, dass Menschen sie aufgrund ihrer Ethnie, ihres Geschlechts oder Status benennen, in eine Schublade stecken und abqualifizieren. So etwas ist auch ziemlich unangenehm. Aber viele Menschen erleben das in Österreich jeden Tag. Weil sie Schwarz sind, weil sie MuslimInnen sind, weil sie selbst oder ihre Eltern nach Österreich zugewandert sind, weil sie eine andere Muttersprache als Deutsch haben.
Ihnen wird im Alltag und in politischen Diskursen ständig gesagt, wo ihr Platz ist und sie werden benannt: Als Menschen mit Migrationshintergrund, MigrantInnen, AusländerInnen, als junge, männliche Flüchtlinge. Und mit jedem dieser Label wird ein Set an Zuschreibungen vermittelt. Ob man will oder nicht. So ist das mit Schubladen, in die man hineingestoßen wird: Niemand fragt, ob man sich darin wohl fühlt. Dieses Benennen muss gar nicht böse gemeint sein. Wir haben uns daran gewöhnt, darauf hinzuweisen, dass jemand Türke ist – unabhängig davon, ob er sich selbst so definieren würde. Benannt werden immer die, die nicht zur Mehrheit gehören, die vermeintlich anders sind.
Was normal ist, wird nicht extra ausgeschildert. Ich bemerke aber, dass es eine Generation von jungen Menschen gibt – darunter viele Frauen – die sich kritisch damit auseinandersetzt, dass Weiß-sein und Männlich-sein als die Norm angesehen wird. Und sie benennen diese privilegierte Gruppe. Da fällt schon mal die Bezeichnung „weiße, alte Männer“ – und das kommt nicht gut an. Manche Männer sehen darin sogar eine Diskriminierung. In eine Schublade gehören schließlich nur die anderen. Nun ja, die meisten reagieren so wie Reinhold Lopatka: mit Ärger, Unverständnis und Protest. Denn mit dem Label „weiß und alt“ wird eben oft ein Set an Zuschreibungen vermittelt. Und zwar: ob man will oder nicht.
Clara Akinyosoye ist freie Journalistin und Ex-Chefredakteurin von M-Media.
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